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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Autoren: Dieter Borchmeyer
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erhoben habe.
    Wagner hat die Handlung der Gozzischen Tragikomödie im wesentlichen beibehalten. Die wichtigste Abweichung aber ist die Änderung der Verwandlungsthematik, auf die er sehr stolz war. Dazu heißt es in seiner autobiographischen Rechtfertigungsschrift Eine Mittheilung an meine Freunde (1851): »Eine Fee, die für den Besitz eines geliebten Mannes der Unsterblichkeit entsagt, kann die Sterblichkeit nur durch die Erfüllung harter Bedingungen gewinnen, deren Nichtlösung von seiten ihres irdischen Geliebten sie mit dem härtesten Loose bedroht.« Die Prüfung ist jedoch für den Geliebten zu schwer. Während die Fee bei Gozzi daraufhin in eine Schlange verwandelt wird, von deren Gestalt nur der Kuss des Geliebten sie wieder befreien kann, änderte Wagner nach seinen Worten den Schluss dahin, »daß die in einen Stein verwandelte Fee durch des Geliebten sehnsüchtigen Gesang entzaubert […] wird« (GS IV, 252 f.).
    Die Verwandlung des Menschen in einen Stein oder eine Statue ist ein uraltes mythisches Motiv (das Hofmannsthal in seinem Libretto und Märchen Die Frau ohne Schatten noch einmal aufgreifen wird). Die Belebung einer Statue durch Musik aber gemahnt auffallend an den Schluss von Shakespeares Drama The Winter’s Tale , das Wagner mit Sicherheit gekannt hat. Hier verwandelt sich vor den Augen des Leontes die vermeintliche Statue seiner Gattin Hermione – in Wirklichkeit ist sie es selber – unter den Klängen von Musik in ihr menschliches Urbild zurück. Das Motiv der Statuenbelebung ist vor allem mit dem antiken Mythos von Pygmalion verbunden, dem Bildhauer, der sich so sehr in eine von ihm gescha ff ene Statue verliebt, dass Venus sie für ihn belebt. Diese Motivtraditionen gehen am Schluss von Wagners Feen mit der Sage von Orpheus, der durch seinen Gesang nicht nur Tiere zähmte, sondern auch Steine und Bäume in Bewegung versetzte, eine hochsymbolische Verbindung ein. Arindal wird zum Künstler, der durch die Macht der Musik die zur Statue erstarrte geliebte Frau entzaubert.
    Ja, ich besitze Götterkraft!
Ich kenne ja der holden Töne Macht,
Der Gottheit, die der Sterbliche besitzt!
Du, heiße Liebe, Sehnsucht und Verlangen,
Entzaubert denn in Tönen diesen Stein. (SS XI, 56 f.)
    Das Märchen von einem Wesen der Geisterwelt, das sich danach sehnt, ein Mensch zu werden, und bereit ist, um menschlicher Liebe willen auf seine Unsterblichkeit zu verzichten, sowie das Motiv des tragischen Zusammenstoßes zwischen Geister- und Menschenwelt bilden Kernthemen der romantischen Oper zwischen E. T. A. Ho ff manns Undine (1813/14) und Richard Wagners Lohengrin . Auch Heinrich Marschners Opern Der Vampyr (1828) und Hans Heiling (1833) gehören in diese Reihe.
    Die Prüfung der Liebe des Menschen, der sich durch ein fast unerfüllbares Gebot mit einem Geisterwesen verbunden hat, ist das gemeinsame Thema von Wagners romantischen Opern Die Feen , Der fl iegende Holländer und Lohengrin . Im Falle der Feen und des Lohengrin ist der Kern der Prüfung ein Frageverbot: Der Mensch soll das Geheimnis des außerirdischen Wesens, das in seine Sphäre eingetreten ist, nicht ergründen wollen. Auch dies ist, wie Wagner wohl bekannt war (GS IV, 289), ein antikes Motiv: denken wir an Zeus und Semele, Amor und Psyche. In Wagners Fragment Wieland der Schmiedt (WWW 82, 1849/50) kehrt das Motiv noch einmal marginal wieder: König Jsang, der Fürst der Lichtalben, habe sich der Mutter Schwanhildes – wie Zeus der Leda – in Gestalt eines Schwans genähert. Drei Jahre hätten sie zusammengelebt, »bis die Mutter in thörichtem Eifer zu wissen begehrte, wer ihr Gatte sei, wonach zu fragen er ihr verboten hatte. Da schwamm der Albenfürst als Schwan durch die Fluthen davon« (GS III, 182). Hier verschränken sich Motive des Leda-, Semele- und Psyche-Mythos mit denen des Lohengrin .
    Manche Vorahnungen, um nicht zu sagen: Antizipationen von Wagners reifen Werken fi nden sich schon in den Feen . Die aufsteigende Sechzehntel fi gur in der Einleitung der Ouvertüre etwa weist voraus auf die Faust-Ouvertüre (WWV 59), Wagners wohl bedeutendste reine Instrumentalkomposition; die a capella gesungene ›Preghiera‹ zu Beginn des dritten Akts gemahnt an das Gebet vor dem Zweikampf im ersten Akt des Lohengrin . Selbst Wagners spätere psychologisierende Verwendung von Leitmotiven wirft ihre Schatten voraus, so im Thema der Romanze Gernots von der Hexe Dilnovaz, durch die er Arindal zur Abwendung von Ada bewegen will (sei sie doch
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