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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Autoren: Dieter Borchmeyer
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erschienen in Heinrich Laubes Zeitung für die elegante Welt , heißt es programmatisch: »Wir müssen die Zeit packen und ihre neuen Formen gediegen auszubilden suchen« (SS XII, 4). Das bedeutet Wagners Absage an den welt fl üchtigen Mystizismus, dem er in den Feen gehuldigt hatte und wie er in der gemeinsamen Entrückung Arindals und Adas in die Feenwelt seinen deutlichsten Ausdruck gewonnen hat. An die Stelle einer solchen Flucht aus der Realität soll nun die lebendige Anteilnahme am Zeitgeschehen und die Huldigung des sinnlichen Lebens treten. In diesem Sinne konzipiert Wagner sein Liebesverbot , dessen Text er noch in dem gleichen Jahr 1834 abschließt, zu dessen Beginn er die letzte Hand an die Partitur der Feen gelegt hat. Vergleiche man die Sujets seiner beiden ersten Opern, schreibt Wagner in Eine Mittheilung an meine Freunde , so sehe man, »daß die Möglichkeit, nach zwei grundverschiedenen Richtungen hin mich zu entwickeln, vorhanden war: dem heiligen Ernste meines ursprünglichen Emp fi ndungswesens trat [im Liebesverbot …] eine kecke Neigung zu wildem sinnlichem Ungestüme, zu einer trotzigen Freudigkeit entgegen, die jenem auf das heftigste zu widersprechen schien. Ganz ersichtlich wird mir dieß, wenn ich namentlich die musikalische Aufführung beider Opern vergleiche. […] Wer diese Komposition mit der der Feen zusammenhalten würde, müßte kaum begreifen können, wie in so kurzer Zeit ein so auffallender Umschlag der Richtungen sich bewerkstelligen konnte.« (GS IV, 255 f.)
    Wagner hat diesen Umschlag freilich etwas überspitzt. Wie in den Feen bereits der Ein fl uss der italienischen Oper, Rossinis zumal, hier und da zu spüren ist, so hat der Komponist des Liebesverbots anders als der Autor des abschätzigen Aufsatzes Die deutsche Oper das Vorbild der romantischen Oper à la Weber in manchen Szenen keineswegs verleugnet, wie auch das Vorbild Beethovens immer wieder durchschlägt. Im übrigen sind selbst noch im Tannhäuser musikalische und literarische Reminiszenzen an das Liebesverbot zu fi nden. Die auffallendste ist das ›Dresdner Amen‹, das schon als überraschender Vorklang des Parsifal im »Salve Regina« des Liebesverbots (in der zweiten Szene des ersten Aufzugs) auftaucht.
    In seinem Debütartikel Die deutsche Oper hat Wagner den »unendlichen Vorsprung« betont, den die Italiener in der Gesangsoper – für ihn nun die einzig gattungsgerechte Oper – vor den Deutschen hätten. Er sei »des ewig allegorisierenden Orchestergewühls herzlich satt«. Das klingt fast wie die Attacke eines späteren Antiwagnerianers auf das symphonische Orchester des Musikdramas. Wonach er sich sehne, das sei »ein einfach edler Gesang«, und er bricht in die Klage aus: »O, diese unselige Gelehrtheit, – dieser Quell aller deutschen Übel!« (SS XII, 1 f.)
    Die Bevorzugung der italienischen Gesangsoper sowie der französischen Opéra comique prägt auch Wagners Essays der nächsten Jahre. Im Aufsatz Der dramatische Gesang von 1837 lesen wir: »Warum wollen wir Deutsche denn nicht o ff en und frei anerkennen, daß der Italiener im Gesang, der Franzose in einer leichteren und lebhafteren Behandlung der Opernmusik einen Vorzug vor den Deutschen habe […]?« (SS XII, 15) Im Aufsatz Bellini. Ein Wort zu seiner Zeit (1837) fordert Wagner: »Gesang, Gesang und abermals Gesang, ihr Deutschen!« Wie weit Wagners Bellini-Begeisterung in dieser Zeit geht, zeigt seine Auffassung, dass »in seiner Norma , ohnstreitig seiner gelungensten Komposition […] sich selbst die Dichtung zur tragischen Höhe der alten Griechen aufschwingt« (SS XII, 20 f.).
    Wagners Bellini-Enthusiasmus geht auf das Erlebnis einer Aufführung der Romeo-und-Julia-Oper I Capuleti e i Montecchi ( Capulet und Montague ) mit Wilhelmine Schröder-Devrient Anfang 1834 in Leipzig zurück. Auf dieses Ereignis – eines seiner künstlerischen Urerlebnisse – kommt er immer wieder bis ins hohe Alter zurück. Noch zur »Überschwenglichkeit« des zweiten Tristan -Aktes sei er, so vermutet er im Gespräch mit Cosima an 23. März 1878, durch jene Aufführung inspiriert worden (CT II, 67). Neben Vincenzo Bellini sind es vor allem die Opern Daniel-François-Esprit Aubers, besonders dessen Stumme von Portici , die seine musikalisch-dramatische Imagination in diesen Jahren be fl ügeln.
    Abb. 4 : Wilhelmine Schröder-Devrient (1804–1860) als Leonore in »Fidelio«
    »Wir müssen die Zeit packen und ihre neuen Formen gediegen auszubilden suchen; und
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