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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Autoren: Dieter Borchmeyer
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schließlich, von Gabriele d’Annunzio in seinem Roman Il fuoco (1900) morbid-prunkvoll nachinszeniert, in Maurice Barrès’ La Mort de Venise (1902) beziehungsreich re fl ektiert, von Thomas Mann zehn Jahre später in Der Tod in Venedig mit einer Fülle von Allusionen auf Kunst und Leben Wagners unter durchaus kritischem Vorzeichen in eine fi ngierte Schriftstellervita hinübergespiegelt und in Franz Werfels Verdi. Roman der Oper (1924), der auch ein Roman über Wagner ist, zum Durchbruchserlebnis seines großen italienischen Antipoden stilisiert, bildet geradezu einen der Mythen des Fin de siècle, in dem Wagner vollends zur europäischen Symbol fi gur der Décadence, ihrer Todeserotik (hatte er doch in Venedig 1858 den zweiten Akt des nacht- und todessüchtigen Tristan vollendet) und der ästhetizistischen Zauber des Verfalls wird.
    Dass Wagner selber die deutsche Provinz – Bayreuth – zur Kultstätte seines »Kunstwerks der Zukunft« gemacht und sich eine deutsche Ideologie mit nicht selten chauvinistischen und antisemitischen Zügen zurechtgelegt hat, ja schon in seinem äußeren Erscheinungsbild (mit dem Samtbarett als ›Statussymbol‹) in die Rolle des deutschen »Meisters« geschlüpft ist, wurde ebenso wie seine Alterschristlichkeit im Parsifal (1882) von Friedrich Nietzsche im Hinblick auf seine urban-europäische Wirkung als Larve, als Ritual einer Selbstverleugnung seiner kosmopolitischen, den »Umsturz der Werte« vorbereitenden Modernität decouvriert. In der deutsch-nationalen Maske sucht Wagner, so scheint es, die bedrohlichen Elemente seiner eigenen Modernität auf das Judentum abzuwälzen, in der Rolle des Bannerträgers eines utopischen Christentums den letzten Wert-Halt inmitten einer auf den Nihilismus zusteuernden Moderne zu fi nden. Doch in genauer Witterung des oft histrionischen Charakters dieser Haltungen rechneten ihn in der Regel weder die Repräsentanten des nationalistischen Deutschtums noch des Christentums noch selbst (wie der Fall Eugen Dühring zeigt) des Antisemitismus seiner Zeit zu einem der Ihren. Erst ein halbes Jahrhundert später konnte der inzwischen reaktionär vereinnahmte Wagner zur Kult fi gur völkisch-nationalistischer Ideologie werden. Die Kluft zwischen dem ›Wagnerianismus‹ eines Thomas Mann und eines Adolf Hitler demonstriert exemplarisch die radikal auseinanderstrebenden Tendenzen der Wagner-Rezeption zwischen Moderne und Reaktion. In der deutschen Kulturszene nach der Mitte des 19. Jahrhunderts war Wagner also aufgrund seiner Verletzung der eingespielten ästhetischen Rollenerwartungen ein permanentes Ärgernis, das immer wieder zu Aggression provozierte, wie sie sich in einer beispiellosen, in diesem Ausmaß einem Künstler noch nie zuteilgewordenen Flut von Karikaturen, Polemiken und Spottschriften, Satiren und Parodien ausdrückte. Obwohl die Auseinandersetzung mit Wagner auch außerhalb Deutschlands durchaus von heftigem Pro und Contra geprägt war, hatte sie doch aufgrund der größeren Distanz zum ›Menschlich-Allzumenschlichen‹ seiner Persönlichkeit weit weniger aggressive Züge – und eben deshalb vor allem in der französischen und englischen Literatur weit bedeutendere kritisch-literarische Folgen als in Deutschland.
    Der immensen Wirkung Wagners auf die musikalische Moderne steht ja sein kaum weniger intensiver Ein fl uss auf die europäische Literatur gegenüber. Die frühe literarische Moderne wäre ohne die Wirkung Richard Wagners schwerlich das, was sie ist. Eine Zusammenstellung der Namen von Autoren, deren Werk von Wagner mehr oder weniger tiefgreifend geprägt ist, ergäbe ein repräsentatives Panorama der europäischen Literatur von 1850 bis 1930. Die Metropole dieser Wirkung ist Paris, die »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts« (Walter Benjamin) gewesen. Die Bewegung des literarischen ›Wagnérisme‹, die sich in der 1884 von Edouard Dujardin gegründeten Revue Wagnérienne ihr repräsentatives Organ scha ff en wird, beginnt mit Charles Baudelaire und setzt sich über Stéphane Mallarmé und Paul Verlaine zu Romain Rolland, Paul Claudel und Marcel Proust fort. In der englischen (zumal der irischen) Literatur erstreckt sich der Wagner-Ein fl uss von William Morris über Oscar Wilde und George Bernard Shaw bis zu James Joyce und Virginia Woolf. In der italienischen Literatur reichen die Wirkungen Wagners von Arrigo Boito bis Gabriele d’Annunzio, jener mit Wagner als Übersetzer und Propagator seiner Werke noch persönlich
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