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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition)
Autoren: Daniela Gerlach
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er nicht dabei war.
     
    Während sie beim Frühstück saßen, brachte er sie zum Lachen. Er dachte nicht an die Vertrautheit zwischen ihnen, beobachtete nicht ihre Gesten, ihre vorsichtigen Handbewegungen, horchte nicht in ihre Stimme hinein, sah nicht ihr Lächeln an als wäre es zum letzten Mal. Vera war aufgekratzt – aus verschiedenen Gründen. Gegen Mittag würde sie auf eine Pressereise nach Südtirol fahren, sie sollte für eine Reisebroschüre Fotos von einer Wandertour durch das Eisacktal machen. Sie freute sich. Sie war von einer Heiterkeit, um die sie sich nicht bemühen musste. Nur die letzte Hürde, die musste sie noch nehmen, davor hatte sie Angst, das spürte er. Er verstand das.
    Als sie sich zur zweiten Tasse Kaffee eine Zigarette aus der Schachtel nahm, gab er ihr Feuer. Sie sah ihn nicht an.
    „Weißte“, meinte er, während er noch überlegte, ob er sie jetzt damit quälen oder ob er seine eigene Schmerzgrenze untersuchen wollte, „ich möchte, dass wir wenigstens Freunde bleiben.“
    Sie nickte, ihre Augen bekamen rote Ränder und wurden feucht. Sie kämpfte ja schon die ganze Zeit. Das gefiel ihm, versöhnte ihn. „Oder dass wir mal zusammen frühstücken.“
    „Ja klar“, sagte sie erstickt, „das möchte ich auch.“ Sie drückte seine Hand.
    „Ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen, überhaupt nicht mehr mit dir zu frühstücken.“
    Dass sie nun richtig heulte, war wieder mal zu viel des Guten. Es wird überhaupt zu viel geheult hier. Wie so oft bedrohten ihn ihre Ehrlichkeit und ihr aufrichtiger Kummer, machten ihm Angst. Es war etwas, womit er nichts anfangen wollte, noch nie etwas anfangen konnte. „Komm, hör auf. Ja? Mach dir um mich ma keine Sorgen.“
    Sie nickte und ließ ihre Hand streicheln, er fühlte sich noch einmal überlegen, wusste nicht, dass es das letzte Mal war, schob das Ausmaß dieser Ernsthaftigkeit irgendwohin. Tränen tropften von ihrem Kinn auf den Teller und verwässerten ein paar Kleckse Himbeermarmelade.
     
    Er rief sie dann nach ihrer Reise noch einmal an, da klang ihre Stimme ruhig. Sie scherzte. Wie mit einem Kranken oder mit einem Kind. Sie war nett. Da kam nichts mehr. Als er seinen Seesack packte, sechzehneinhalb Kilo, war sich Spargel sicher, dass die Liebe nur einmal im Leben vorkommt und dann nie wieder.
     
     
    Am Anfang war er manchmal zum Bert gegangen, weil bei dem die Zeit stehen geblieben zu sein schien. Er hoffte, zwischen dem verstaubten marokkanischen Krimskrams und der abgestandenen Luft etwas wiederzuerkennen, oder etwas zu finden, ein vertrautes Gefühl vielleicht. Und nur beim langweiligen Bert, dem noch immer die Jeans um den Hintern herum schlackerten und die Haare strähnig über die Ohren hingen und der immer noch diesen Gesichtsausdruck drauf hatte, den man – je nach Laune und Zustand – als Blödheit, Gleichgültigkeit oder Verständnis deuten konnte, nur bei ihm konnte er die Sachen abladen, die er nicht beim Motte abgeladen hatte, während sie an der Wasserpfeife sogen und Kuhscheiße-Tee tranken.
    „Weißte, ich hab festgestellt, dass das Ideal auch nur ein ganz normaler Mensch mit Fehlern iss. Diese Erkenntnis hat irgendwie gut getan.“
    „Dafür musstest du aber ne weite Reise machen“, sagte der Bert in seiner sanften Art.
    „Dir kommt das vielleicht lächerlich vor, aber mir sind noch nich so tiefschürfende Erkenntnisse zuteil geworden wie dir, Bert. Immerhin bist du bis Marokko gekommen, ich nur bis München.“
    „Und was machste jetzt? Willste wieder dealen?“
    Das könnte dir so passen, dachte der Spargel, sagte dann aber folgendes: „Daran habbich erst auch gedacht. Gehst das Risiko ein, vor allem jetzt, wo ich so schnell wie möglich Geld brauche. Außerdem, wenne dir das mal richtig überlegst, die zwingen einen ja förmlich dazu. Das, wasde wirklich machen möchtest, kannste sowieso nich machen. Ej, ich hätte echt Lust, ma was Kreatives zu machen, aber da brauchste die passende Ausbildung, das passende Alter und die passende Erfahrung, vielleicht noch die passende Schuhgröße, ohne dem läuft nix. Du kriegst erst gar keine Chance, und das sieht da in den ollen Bergen auch nich anders aus als hier im Ruhrpott. Verstehße, was ich mein?“
    Bert nickte und goss sich den letzten Schluck Tee in seine Tasse.
    „Und da denkste natürlich: ich deal einfach wieder, warum nich? Ich will ja nich mit diesem Komplex rumlaufen, mit dem alle unsere ehrlichen Arbeitslosen behaftet sind. – Aber dann
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