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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition)
Autoren: Daniela Gerlach
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nicht glauben, sie gingen tatsächlich gemeinsam. Vier Stockwerke lang war sie vor ihm, genug Zeit, um ihren samtigen Bewegungen und dem Wiegen ihres runden Hinterns zu folgen. Es hatte endlich aufgehört zu regnen, aber es war kühler geworden, Herbstgerüche flogen durch die Dunkelheit. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in den Pfützen. Die Häuser standen verschämt in ihrer schmucklosen, manchmal hässlichen Einfachheit, trugen Fassaden, die niemand streichen wollte. Schöner war der Glanz ihrer rotbraunen Haare. Bei feuchtem Wetter ringelten sich kleine Locken um ihre Stirn. Er hätte nicht gedacht, dass sie mit ihm kommen würde. Er hatte genau ihren misstrauischen, etwas unsicheren Blick gesehen, der ganz im Widerspruch zu der Lässigkeit stand, mit der sie ihre Windjacke nahm und mit einem Kopfnicken Richtung Tür deutete.
     
     
    Olaf Keune überlegte nicht mehr, welche Musik er auflegen könnte, er überlegte, was ihn störte, oder: ob ihn etwas störte. Die Ruhe, die in die Räume zurückkehrte, nachdem alle gegangen waren, tat gut. Sie schuf aber auch eine Leere, die unangenehm werden konnte. Man musste sie füllen, möglichst nicht mit Gedanken. Es konnte ein Gedanke dabei sein, der einen schlecht drauf sein ließ. Er wollte auf keinen Fall schlecht drauf kommen, nicht heute, wo er sich so gut fühlte. Er fühlte sich doch gut? Im Schlafzimmer stand Veras Reisetasche wie etwas Endgültiges. Wie hatte er sich vor diesem möglichen Augenblick gefürchtet, wie hatte er ihn herbeigesehnt, weil er eigentlich nicht möglich war! Die Frage, was er von dem Ganzen halten sollte, war noch nicht geklärt. Seine Nervosität störte ihn, seine Überraschung und Freude hätte er gern geleugnet. Es störte ihn auch, wenn sie ihn beobachtete und so tat, als verstünde sie ihn. Er war jetzt ganz anders, verdammt noch mal, und hatte keinen Bock mehr auf Stress.
    Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit ihrer Stimme am Telefon. Sie sprachen nicht viel, aber aus dem Wenigen hörte er heraus, was sie beide verpasst hatten und spürte ein tiefes Verlangen, sie zu sehen. Dagegen war er machtlos, heute noch genauso wie damals. Sie fragte: „Möchtest du mich sehen?“ Er sagte: „Nein, eigentlich möchte ich dich nicht sehen.“ Das Zittern in seiner Stimme war nicht zu überhören, machte ihn wütend, sein Herz raste, als wollte es aus der Brust springen, es rasselte in der Kehle wie um das Gesagte auszulöschen, und ihre Enttäuschung, ihre Hilflosigkeit, machten ihn unendlich traurig. Sie hatte ihn gesucht, lange, immerhin seine Stimme gefunden. Alles brach zusammen. Ein Jahr und vierundzwanzig Tage lang hatte er sein Leben im Griff gehabt. Es ging ihm gut. Er war gewachsen, ganz und gar anders geworden, das Jetzt hatte nichts mehr mit dem zu tun, was vorher war. Die winzige Hinterhofwohnung, die sich an eine ehemalige Fahrradwerkstatt anschloss, gehörte ebenso der Vergangenheit an wie die Weiber, die dort ein und aus gingen und die alles mit sich machen ließen und die alles mit ihm machten, das ewige Knapsen mit dem Geld, die Alkoholexzesse, die düstere Musik und die Depressionen. Vera, die Frau, die man essen wollte, die man aber nicht verstand und die ihn nicht verstand, diese unmögliche Frau, die sich in sein Leben drängte – vergangen. Die Liebe, dieses seltsame Tier, vom Aussterben bedroht. Die neue Wohnung lag in einer schmalen, unscheinbaren Straße in der Nordstadt, eine lichtlose Gegend mit Billigsupermärkten, Kebab-Buden, miefigen Kneipen und Porno-Kinos. Sie war günstig, hatte zwei geräumige, frisch gestrichene Zimmer und ein Bad mit Dusche. Andere Wohnung, anderes Leben, es ging weiter. Dann kam Martina. Martina war da, weil Vera nicht da sein durfte. Irgendwann hatte er stockbesoffen auf ihren breiten Hüften gelegen und da war es auf einmal, als könne er sich endlich fallen lassen, als wäre er angekommen, und damit war endgültig Schluss mit den unerreichbaren Traumfrauen, die einen ins Herz stachen. Am ersten Morgen hatte er sich ein bisschen geekelt vor Martina, wollte ihr weißes, gedunsenes Gesicht nicht zum Leben erwecken und machte, dass er rauskam, bevor sie aufwachte. Doch zu Hause kam er sich schlecht vor. Das hatte die Frau nicht verdient. Irgendetwas Gutes hatte diese Begegnung, und genau das, nicht mehr und nicht weniger, würde ihn wieder zu Martina zurückbringen. Die Briefe aus München gingen mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt“ zurück. Olaf spürte ihren
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