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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia
Autoren: Thomas Thiemeyer
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neugierig an.
    »Endlich!« Die Gastgeberin stand auf und kam mir entgegen. Ich war überrascht, wie klein sie war. ihr graues Haar war zu einem Knoten zusammengebunden, und ihre Augen und die Fältchen um ihren Mund zeugten von einem unbeugsamen Willen. Man konnte noch erahnen, dass sie früher eine Schönheit gewesen war.
    »Wie schön, Sie zu sehen, lieber David. Ich freue mich, dass Sie meiner Bitte gefolgt sind und sich ins Flugzeug gesetzt haben. Lassen Sie sich ansehen. Wie gut Sie aussehen! Kaum zu glauben, aber aus dem Jungen ist ein stattlicher Mann geworden. Mit einem Gespür für gute Kleidung, wenn ich das hinzufügen darf.« Sie ergriff meine Hand und schüttelte sie herzlich. »Meine Herren, darf ich Ihnen den Sohn meines Freundes und Weggefährten Ronald Astbury vorstellen? Ein Jammer, dass der alte Charmeur nicht mehr unter uns weilt. Er starb vor fünf Jahren, etwa zum selben Zeitpunkt wie mein geliebter Mann. Mit diesen beiden Menschen ist ein Teil meiner Jugend gegangen.«
    Sie schien kurz in Gedanken zu versinken, doch dann hob sie ihren Kopf und wandte sich den beiden Männern zu, die sichtlich Mühe hatten, sich aus den schweren Ledersesseln zu erheben.
    »Bitte behalten Sie doch Platz«, sagte ich und ging auf sie zu. Die beiden Männer nahmen mein Angebot dankbar an. Der eine, ein fast zwei Meter großer Hüne mit scharf geschnittener Nase und einem hohen Haaransatz, streckte mir seine Pranke entgegen. Sein Unterarm war mit zahlreichen Narben überzogen. »Stewart Maloney«, sagte er. Seine Stimme war, ebenso wie sein Händedruck, überraschend sanft und angenehm. Trotzdem glaubte ich in seinen Augen ein Funkeln zu erkennen, das auf einen unnachgiebigen Willen schließen ließ. Mein Blick fiel auf ein merkwürdig archaisch anmutendes Amulett, das er um den Hals trug. Eine stilisierte Echse, eingefasst in einen runden Rahmen aus Holz, der mit zahlreichen Gravuren verziert war. »Dies hier ist mein Assistent«, stellte er mir seinen Begleiter vor.
    Ich blickte ihn überrascht an. Der Mann war ein Aborigine, sein Lächeln reichte von einem Ohr zum anderen. Als ich zu Boden blickte, bemerkte ich, dass er keine Schuhe trug. Er nahm seine kleine Holzpfeife aus dem Mund und reichte mir seine Hand. »Sixpence«, sagte er mit jener unverwechselbaren Stimme, die ich schon durch die Tür gehört hatte. »Freut mich, Sie kennen zu lernen.«
    »Ganz meinerseits«, entgegnete ich, nahm seine Hand … und beging damit einen kapitalen Fehler. Hätte ich gewusst, über was für einen eisernen Griff dieser Mann verfügte, wäre ich vorsichtiger gewesen.
    Als er meine Hand wieder losließ, glaubte ich, unter meiner Haut befänden sich nur noch Knochensplitter. Schlagartig wurde mir bewusst, weshalb Maloney mit diesem merkwürdigen Akzent sprach und weshalb mir sein Amulett so bekannt vorkam. Er war ebenfalls Australier, und das Amulett war ein Traumfänger.
    Lady Palmbridge lächelte mich an, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Mr. Maloney und Mr. Sixpence haben die Reise von der anderen Seite der Erde aus demselben Grund angetreten, aus dem ich auch Sie hergebeten habe. Doch davon möchte ich Ihnen erst heute Abend nach dem Dinner erzählen. Jetzt würde ich mich freuen, wenn Sie sich alle wie zu Hause fühlten. Was darf ich Ihnen anbieten, David? Brandy, Whisky oder lieber einen Sherry?« Ich blickte kurz auf die Gläser der anderen und entschied mich spontan für Whisky. Nicht weil ich ihn besonders mochte, sondern weil niemand etwas anderes trank. Mrs. Palmbridge nickte Aston zu, der mit wackeligen Schritten auf die Bar zusteuerte. So prunkvoll die Villa auch war, ohne Emily war sie ein luxuriöses Altersheim.
    »Scotch oder Bourbon, Sir?«, fragte der Butler.
    »Scotch – ohne Eis bitte.« Ich fühlte mich, als würde ich einen halben Meter neben mir stehen. Wo war ich hier nur hineingeraten? Die Lady führte mich zu einem Sessel an der schmalen Seite des Tisches gegenüber von Maloney und Sixpence. Ich ließ mich hineinsinken. Der erste Eindruck hatte nicht getrogen. Die Sessel waren himmlisch. Unsere Gastgeberin wartete, bis ich meinen Drink hatte, dann hob sie ihr Glas. »Auf Sie alle, dass Sie die Mühe auf sich genommen haben, um einer alten Frau aus der Klemme zu helfen. Möge unser Treffen unter einem guten Stern stehen.« Sie kippte den Inhalt ihres Glases in einem Zug hinunter und ließ sich nachschenken.
    Während ich noch über das seltsame Benehmen unserer Gastgeberin staunte, fragte ich
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