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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Erleichtert darüber, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren, stieg ich aus. Ich schickte mich an, mein Gepäck hinter dem Sitz hervorzuholen, doch Hiller winkte ab.
    »Lassen Sie nur, David. Ich kümmere mich darum und werde Ihr Gepäck aufs Zimmer bringen. Ich würde Ihnen empfehlen, gleich nach vorn zu gehen. Die anderen Gäste scheinen schon da zu sein, und die Lady hasst Unpünktlichkeit.« Er nickte mir aufmunternd zu.
    Ich stand für einen Moment unsicher auf dem Rasen, während meine Arme wie bei einer Marionette schlaff an meinem Körper herunterbaumelten. Hiller schien meine Verlegenheit zu bemerken und machte mir Mut: »Nur keine Angst, gehen Sie einfach zum Haupteingang. Aston wird Ihnen aufmachen.«
    Ich raffte mich auf und eilte auf das prächtige Herrenhaus zu. Der Kies knirschte unter meinen Ledersohlen, als ich den Parkplatz überquerte. Meine Armbanduhr sagte mir, dass ich wegen des Nebels in San Francisco eine halbe Stunde Verspätung hatte.
    Am Eingang blickte ich mich verwirrt um. Ich konnte keine Klingel entdecken, nur einen massiven gusseisernen Klopfer in Form eines Drachenkopfes, der mich hämisch angrinste. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und schlug ihn gegen die Tür. Mein Klopfen verhallte dumpf in den Tiefen des Hauses. Ich wartete eine Weile. Als ich schon glaubte, dass niemand mich gehört hatte, vernahm ich schlurfende Schritte von drinnen. Jemand machte sich an dem Türschloss zu schaffen, dann drehte sich die schwere Pforte in ihren Angeln und schwang auf.
    Ein alter Butler in voller Livree öffnete mir mit einem Gesichtsausdruck, der vom Glanz früherer Zeiten erzählte. Es musste sich um einen Import aus England handeln. Kein Amerikaner hätte diese schmallippige Würde ausstrahlen können.
    »Gestatten Sir: Mein Name ist Aston«, stellte er sich mit schnarrender Stimme vor. »Wen darf ich Lady Palmbridge melden?«
    »David Astbury.«
    »Folgen Sie mir bitte in den Salon, Sir. Sie werden bereits erwartet.«
    Ich setzte meinen Fuß über die Schwelle, und es war, als würde ich in eine Zeitmaschine steigen. Der Geruch exotischer Blüten stieg mir in die Nase, genau wie vor zwanzig Jahren, als ich das alte Haus der Palmbridges das erste Mal betreten hatte. Rechts vom Eingang stand eine mannshohe Vase, aus der sich fremdartige Orchideen rankten, wie ich sie selbst während meines Botanikseminars nicht zu Gesicht bekommen hatte. Links strebte ein kleiner Wald seltener Bonsaibäume dem Licht des Tages entgegen. Ich erblickte einen prächtig gewachsenen Ginkgo und eine Zwergmangrove, zwischen denen eine goldene Voliere hing, in der ein Paradiesvogel auf und ab hüpfte. Sein Gezwitscher erfüllte die Eingangshalle mit fremdartigen Melodien.
    Aston betrachtete mich von oben bis unten, als ob er mir irgendetwas abnehmen wollte. Doch nachdem er sich überzeugt hatte, dass ich weder Mantel noch Stock oder Hut trug, hüstelte er enttäuscht, wandte sich ab und schlurfte in den Raum rechts von uns. Er ging so langsam, dass ich Zeit genug hatte, mich umzusehen. Mein Respekt vor den Palmbridges wuchs mit jedem Raum, den wir durchquerten. Exotische Pflanzen wechselten mit Bücherregalen, die bis unter die Decke reichten, und erlesenen, alten Möbeln. Die Tische waren mit aufwendigen Intarsienarbeiten versehen, und die Ledersessel sahen aus, als seien sie so bequem, dass man sie freiwillig nie wieder verlassen würde. Ich stammte ebenfalls aus gutem Hause, doch angesichts dieses Prunks erstarrte ich vor Ehrfurcht. Die Familie war schon damals sehr wohlhabend gewesen, aber hier in den USA musste sie ein Vermögen verdient haben.
    Während wir im Schneckentempo durch das Kaminzimmer schlichen, konnte ich durch die geschlossene Tür hören, dass im Nebenzimmer gesprochen wurde. Es waren die Stimmen dreier Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Die Frauenstimme war resolut und trocken und gehörte unzweifelhaft unserer Gastgeberin. Die zweite Stimme gehörte einem Mann und besaß einen Akzent, den ich nicht einzuordnen vermochte. Die dritte Stimme ließ mich erstaunt aufhorchen. Sie war kehlig und guttural und mit keiner zu vergleichen, die ich jemals gehört hatte.
    Der Butler erreichte die Tür und klopfte an.
    »Herein!«, schallte es von drinnen, und Aston öffnete. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend trat ich ein.

3
    Dichter Tabakrauch schlug mir entgegen. Lady Palmbridge und zwei Männer saßen um einen Couchtisch, rauchten und blickten mich
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