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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Landausflügen, Butlern und Banketts für einen Jungen, der aus der Bay Area stammt, wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht angehört haben.«
    »Wie lange kennen Sie und Emily sich denn schon?«, fragte ich und spürte einen Anflug von Eifersucht in mir nagen.
    »Ich arbeite in Palmbridge Manor seit ich neunzehn bin. Mein Onkel Malcolm war dort angestellt. Für mich war das eine Gelegenheit, wie sie sich kein zweites Mal bot. Ich habe es nie bereut. Und Emily war einfach zauberhaft.«
    Ich nickte. »Das war sie. Aber wir waren ja noch Kinder, damals.« Meine Gedanken schweiften in die Vergangenheit, und ich stellte fest, dass ich häufig an sie gedacht hatte. Emily war, ohne es zu wollen, ein fester Bestandteil meines Lebens geworden – und das, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie sie jetzt wohl als erwachsene Frau sein mochte. Im Nachhinein betrachtet, mussten sich alle Freundinnen, die ich im Laufe der Zeit hatte, mit ihrem schattenhaften Bild messen. Eine schwer zu erfüllende Aufgabe, aber vielleicht war genau das der Grund, warum keine meiner Beziehungen länger als ein halbes Jahr hielt. Jüngstes Opfer dieser mangelnden Bindungsfähigkeit war Sarah, die wahrscheinlich in diesem Augenblick rot vor Zorn auf eine Erklärung für mein plötzliches Verschwinden wartete. Und das völlig zu Recht.
    »Alles in Ordnung?« Hillers Frage holte mich wieder zurück in die Gegenwart.
    »Entschuldigen Sie«, entgegnete ich. »War nur in Gedanken. Was war denn in diesem Paket, das die alte Dame so aus der Fassung gebracht hat?«
    »Das weiß ich nicht. Und selbst wenn, dürfte ich mit Ihnen nicht darüber sprechen. Das betrifft nur Sie und Mrs. Palmbridge. Deswegen hat sie Sie kommen lassen. Ich kann nur so viel verraten: Es hat etwas mit Emilys Reise in den Kongo zu tun.«
    Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. »Was in Gottes Namen tut sie denn da? Das ist doch eine Gegend, in der seit Jahren Bürgerkrieg herrscht. Über fünf Millionen Menschen sollen dort bereits abgeschlachtet worden sein.«
    Hiller schüttelte den Kopf. »Da bringen Sie etwas durcheinander. Das, wovon die Nachrichten berichten, spielt sich in der Demokratischen Republik Kongo ab, dem ehemaligen Zaire. Emily aber ist in der Republik Kongo, die westlich davon liegt. Ein wesentlich kleineres Land, das bislang als ruhig galt. Aber nach meinen Informationen ist dieser Zustand nicht von Dauer. Alles ziemlich verworren. Doch jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Da vorn ist Palmbridge Manor. Ich muss mich auf die Landung vorbereiten.« Er bedachte mich mit einem knappen Lächeln und vertiefte sich in seine Instrumente.
    Emily im Kongo? Was hatte sie dort verloren, in der dunkelsten Hölle Afrikas? Mir wurde bewusst, wie wenig ich über Emily wusste. In all den Jahren war sie für mich immer das Mädchen mit den blonden Zöpfen geblieben. Doch im Gegensatz zu mir schien sie ein abenteuerliches Leben zu führen.
    Während ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen, tauchte vor uns eine Halbinsel auf, die sich auf steinernen Klippen ins Meer hinausschob. Gekrönt wurde sie von einem Bauwerk, das erstaunlich viel Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Anwesen der Palmbridges in Hever hatte, auch wenn es auf eine groteske Art gewachsen zu sein schien – als habe man bei der Übertragung der Baupläne Zentimeter mit Inches verwechselt. Andererseits entsprach es mit seinen Ausmaßen dem Hang der Amerikaner zu übertriebener Größe. Der Backstein leuchtete feurig in der Nachmittagssonne, während sich die vier Ecktürme wie Finger in den Himmel reckten. Über die schmale Halbinsel führte eine Straße zum Anwesen der Palmbridges. Sie endete in einem großzügigen Parkplatz, der von Pinien gesäumt war und auf dem mehrere Fahrzeuge geparkt waren, allesamt Luxuslimousinen, wie ich mit einem Anflug von Neid feststellte. Palmbridges Projekte zur Genforschung schienen sich ausgezahlt zu haben. Soweit mir bekannt war, hatte er ein Forschungszentrum geleitet, irgendwo in der kalifornischen Wüste.
    »Bitte halten Sie sich fest, wir landen«, teilte mir Hiller mit, drückte die Maschine in einer sanften Linkskurve herunter und setzte sie sanft auf die Rasenfläche neben dem Parkplatz. Es gab einen kaum spürbaren Ruck, dann erstarb die Turbine.
    »Da wären wir«, strahlte er mich an, während er den Helm abnahm. »Willkommen in Palmbridge Manor.«
    Er sprang aus dem Helikopter, lief um die silberne Nase herum, öffnete meine Tür und half mir, mich aus den Gurten zu entwirren.
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