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Renegade

Renegade

Titel: Renegade
Autoren: J. A. Souders
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Metall schimmert bläulich silbern wie Messerklingen. Aus
irgendeinem Grund schlägt mein Herz wie verrückt. Unwillkürlich strecke ich die
Hand aus, um das kalte, glatte Metall zu berühren. Dann bricht ohne jede
Vorwarnung eine verschwommene Erinnerung über mich herein – Schmerz und Blut –,
und ich ziehe ruckartig die Hand zurück, beobachte aber weiter, wie das
Windspiel sich dreht. Ein überwältigendes Verlustgefühl breitet sich in mir
aus, und ich reibe mir die Schläfen. Meine Augen füllen sich mit Tränen, doch ich
blinzele sie fort. Ich habe keine Ahnung, warum ein Windspiel solche Reaktionen
in mir auslöst.
    Mutter tritt neben
mich. »Gibt es ein Problem, Evelyn?« Sie beobachtet mich wachsam, als wäre ich
eine Schlange, die jederzeit zum Angriff übergehen könnte.
    Seltsamerweise
bekomme ich Schuldgefühle. »Nein. Ich dachte nur, mir wäre zu diesem Windspiel
etwas eingefallen.«
    Mutter kneift die
Augen zusammen. »Wirklich? Was denn?«
    Sag
es ihr nicht ,
flüstert mir eine innere Stimme zu. Ich werfe ihr einen flüchtigen Blick zu und
antworte langsam: »Ich weiß es nicht.«
    Ihre Miene wird
weich. »Es hat keine Bedeutung, Kind.« Sie streicht mit einem Finger über das
Windspiel. »Das steht schon in diesem Garten, seit dein Vater ihn für dich
angelegt hat. Aber wenn es dich stört, kann ich es entfernen lassen. Gerade
heute erst habe ich einen höchst talentierten Metallkünstler entdeckt. Ich kann
ihm gerne den Auftrag erteilen, eine Skulptur für dich zu erschaffen, um das
alte Ding zu ersetzen.«
    Â»Nein, nein, ist
schon in Ordnung.« Obwohl ich das Windspiel mit Trauer und Schuld verbinde,
möchte ich nicht, dass sie es mir wegnimmt.
    Â»Bist du sicher? Wie
wäre es dann mit einem neuen Kleid? Die Schneiderin ist überzeugt davon, dass
dir ihre wundervolle violette Seide phantastisch stehen wird.«
    Â»Ein neues Kleid
wäre toll, Mutter.«
    Â»Wunderbar. Ich
werde einen Termin mit ihr vereinbaren; sie soll nach dem Mittagessen kommen
und deine Maße nehmen.« Während sie sich im Garten umsieht, rümpft sie die
Nase. »Ich verstehe einfach nicht, warum du ständig im Dreck spielen willst, Evelyn.
Ein Garten ist eine so schmutzige Angelegenheit. Du solltest mehr Zeit für
deine Violine aufwenden. Schließlich ist das das Einzige, was du wirklich gut
kannst.« Sie hebt kurz die in blaue Seide gekleidete Schulter. Es ist nicht
wirklich ein Achselzucken, denn so etwas tut eine Lady nicht, doch die
Bedeutung der Geste ist dieselbe. »Um zwölf kommt dein Therapeut. Bitte halte
dich zur Verfügung.«
    Innerlich stoße ich
einen tiefen Seufzer aus. Nach den Sitzungen mit ihm fühle ich mich immer so
merkwürdig.
    Nein. Das stimmt
nicht.
Es ist so
schön, jemanden zu haben, mit dem man reden kann.
    Â»Natürlich, Mutter.«
    Lächelnd tätschelt
sie mir die Wange, dann stöckelt sie auf ihren hohen Absätzen davon. Ich bleibe
einfach stehen und versuche mich daran zu erinnern, was ich tun wollte, bevor
sie auftauchte. Als es mir einfällt, lächele ich stolz. Ich wollte Lotusblüten
sammeln, um sie in den medizinischen Sektor zu bringen.
    Ich schlüpfe aus
meinen flachen Pumps und steige in den Teich. Das Wasser reicht mir fast bis
zum Knie – der Saum meines Rockes schwebt nur wenige Zentimeter darüber – und
ist so warm wie in einer Badewanne. Während ich die zarten Blumen pflücke, summe
ich leise vor mich hin, achte sorgsam darauf, dass mein Rock nicht nass wird,
und überlege mir, dass meine beste Freundin Macie wohl mit der Ausbeute
zufrieden sein wird. Diese Blüten sind ein wenig größer als die der letzten
Ernte.
    Ein sanftes Geräusch
reißt mich aus meinen Gedanken, und ich wate durch den Teich, um schnell zu den
Fenstern zu gehen, die meinen Garten von den Millionen Litern Salzwasser des
Atlantiks trennen. Da mein Garten aus der Seitenwand der Konstruktion unserer
Unterwasserstadt hervorragt, habe ich einen fast perfekten Rundumblick auf den
Ozean. Selbst die Decke besteht aus dickem Glas. Wie oft ich auch in meinem
Garten sein mag, es ist doch jedes Mal wieder überwältigend, wie klar und
ungetrübt das Wasser von hier aus aussieht.
    Vor dem Fenster
zieht ein Blauwal vorbei, und an dem Muster der Narben rund um sein Auge
erkenne ich, dass ich dieses Tier schon einmal gesehen habe.
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