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Rendezvous um Mitternacht

Rendezvous um Mitternacht

Titel: Rendezvous um Mitternacht
Autoren: Victoria Laurie
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Pfad entlang. Ihre Bewegungen hatten etwas Drängendes, und je näher wir Willis’ Haus kamen, desto kälter saß mir die Furcht im Magen.
    Als das Häuschen in Sicht kam, hörten die Kugeln auf zu tanzen, ordneten sich zu einer Reihe und sausten geradewegs durch die Wand nach drinnen. Ich fing an zu rennen. »Irgendwas ist da faul!«
    »Ich komme«, sagte Steven. Ich spürte ihn dicht hinter mir.
    An der Tür hielt ich einen flüchtigen Moment inne, um zweimal zu klopfen, dann stieß ich die Tür weit auf. »Willis?«, rief ich. »Willis, wir sind’s, M. J. und Steve …«
    Der Rest erstarb mir im Mund. Willis hing schlaff in seinem Rollstuhl. Sein Gesicht war aschfahl, und aus dem Mund lief ihm etwas Speichel.
    Steven hastete an mir vorbei, kniete sich zu Willis und fühlte seinen Puls.
    »Lebt er noch?«, fragte ich mit tonloser, zitternder Stimme.
    »Kaum noch Puls.« Steven hob eines von Willis’ Augenlidern an, um die Pupillen zu prüfen. Dann schob er den Rollstuhl an die Couch und hob Willis sanft heraus. Ich wollte ihm helfen, aber er hielt mich zurück. »M. J., lauf zu meinem Auto. Auf dem Rücksitz liegt eine schwarze Tasche, bring sie her, so schnell es geht!«
    Ich drehte mich auf dem Absatz um und jagte fort, in den Wald, so schnell meine Füße mich trugen. Völlig außer Atem erreichte ich Stevens Auto. Ich war zwar im Training, aber nur was Langstrecken angeht, und jetzt war ich den ganzen Rückweg gesprintet. Willis hatte so schlecht ausgesehen, dass ich mir nicht die Zeit nahm, zu Atem zu kommen, sondern nur rasch die Tasche packte und wieder zurückhetzte. Ich war gerade am Waldrand angelangt, da hörte ich meinen Namen rufen. Ich hielt inne und sah mich um. Da im Wald stand Willis und winkte mir. Er sah kerngesund aus, kein bisschen wie die Jammergestalt, die im Blockhaus lag. »Nur keine Eile«, sagte er. »Sie wollen doch nicht wieder hinfallen und sich den Fuß verstauchen.«
    Da wurde mir klar, warum ich ihn sah. Entsetzt holte ich Atem und starrte ihn an. »Nein! Nein, Willis, nein!«, schrie ich. Im selben Moment war er verschwunden. »Scheiße verdammte!«, kreischte ich und rannte schneller, als ich jemals gerannt war, zwischen den Bäumen hindurch, ohne darauf zu achten, dass mir die Zweige ins Gesicht peitschten und mein Herz mich wild pochend anflehte, mein Tempo zu verlangsamen. Völlig durchnässt und schwindelig vor Sauerstoffmangel erreichte ich das Häuschen und stürzte hinein. Willis lag auf dem Boden, Steven hockte über ihm und reanimierte. Auch er atmete schwer, und der Schweiß rann ihm von der Stirn.
    Ich fiel neben ihm auf die Knie. Meine Lungen pumpten so schnell, dass ich mich fragte, wie viel sie noch aushielten. »M.J.!«, stieß er unter größter Anstrengung hervor. »Ruf den Notarzt!«
    Ich nickte und suchte in meiner Tasche nach dem Handy. Doch als ich die Tasten gedrückt hatte und auf die Leitstelle wartete, wusste ich tief drinnen, dass unsere Mühe vergebens war. Wir waren zu spät gekommen.
    Zwei Stunden später wurde Willis’ Leiche vom Leichenbeschauer des Bezirks abgeholt. Steven und ich saßen mit dem Sheriff am Küchentisch und schilderten ihm nochmals in allen Details, wie wir Willis in bewusstlosem Zustand angetroffen hatten. Steven hatte nahe der Stelle, wo der Rollstuhl gestanden hatte, eine Spritze und ein Fläschchen Insulin gefunden. Nach seiner ersten Schätzung war Willis vermutlich nach einer Überdosis Insulin in eine Unterzuckerung geraten und zu schnell bewusstlos geworden, um sich noch selbst helfen zu können. Schweigend hörte ich zu, während Steven dem Sheriff erklärte, dass wir wohl ungefähr eine Stunde zu spät gekommen waren.
    »Wie lange kannten Sie Willis schon?«, fragte der Sheriff.
    »So lange wie meinen Großvater.« Stevens Stimme zitterte ein wenig. Er räusperte sich und ließ eine Sekunde vergehen, ehe er fortfuhr. »Willis gehörte hierher, meine ganze Kindheit lang. Er hat mich auf seinem Traktor mitgenommen und mir die Blumen und Pflanzen gezeigt. Er war ein guter Mensch.«
    »Und wie lange litt er an Diabetes?«
    »Auch so lange ich ihn kannte.«
    »Wissen Sie, wer sein Arzt war?«
    »Nein«, sagte Steven. Da schien ihm ein Gedanke zu kommen.
    Er stand auf, nahm eines von drei Medikamentenfläschchen, die auf dem Küchentresen standen, und sah sich das Etikett an. »Sie können es mit Dr. Harris in Twin Lakes versuchen.«
    »Das ist ein ganz schönes Stück weg«, meinte der Sheriff verwundert.
    »Aber dort ist
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