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Renate Hoffmann

Renate Hoffmann

Titel: Renate Hoffmann
Autoren: Anne Freytag
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einem Maße, das man sich als normaler Mensch wohl kaum erklären kann. Sie hob ihre Bettdecke an und schaute skeptisch an sich hinunter, so als könnte das, was sie da spürte unmöglich ihre eigene Hand sein. Vorsichtig bewegte sie ihre Fingerkuppen. Sie spürte schwitzige Haut und feuchte kleine Locken. Irritiert zog sie ihre Hand hervor und schaute sie vorwurfsvoll an.
    Erst einige Stunden später kamen Bruchstücke des Traums der vergangenen Nacht zu Frau Hoffmann zurück, was im Nachhinein die höchst unwahrscheinliche Lage ihrer Hand erklärte. Teilweise war sie schockiert darüber, derartige Fantasien zu haben, andererseits, so musste sie sich selbst eingestehen, hatte ihr die Vorstellung mit Herrn Peters zu schlafen, tatsächlich gefallen. Sie hatte sich schön und unbefangen gefühlt. In seinen Armen war sie wieder zu jener Frau geworden, an die sie sich nur noch vage zu erinnern vermochte. Er hatte ihre Wünsche erfüllt, noch bevor sie sich darüber im Klaren gewesen war, dass sie sie eigentlich hatte. Er hatte sie auf eine Art verstanden, wie sie schon seit langem keiner mehr verstanden hatte.
    Sie schloss die Augen und dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, mit ihm zu schlafen. In ihren Gedanken ging es nicht um Herrn Peters, sondern um das, was sie dabei empfunden hatte, als sie ihn in sich spürte. Vielleicht ging es im Grunde eigentlich darum, überhaupt wieder etwas zu spüren.
    In den vergangenen Jahren hätte der bloße Gedanke an Sex Frau Hoffmann den eiskalten Schauer des Ekels über den Rücken getrieben. Vielleicht auch deswegen, weil Frau Hoffmann über eine nur sehr eingeschränkte Erfahrung in dieser Hinsicht verfügte. Und bestimmt hatte es auch mit den Männern zu tun, von denen sie umgeben gewesen war. Doch der Hauptgrund war der unumstößliche Fakt gewesen, dass keiner von ihnen seinen Platz hätte einnehmen können.
    Nie im Leben hätte sie einen anderen Mann wirklich an sich heran lassen können. Ferner bleibt die Frage bestehen, welcher Mann es sich wünschen würde, näher an Frau Hoffmann heran zu kommen. Das lag weniger an ihrem wenig ansprechenden Aussehen, als an ihren zahlreichen Neurosen. Sicherlich hätte sich ihre eher biedere und unscheinbare Erscheinung auch nicht positiv auf das starke Geschlecht ausgewirkt, doch das wäre immer noch das kleinere Übel gewesen. Nichts, was man mit einem ordentlichen Haarschnitt, neuer Garderobe und ein wenig Schminke nicht in den Griff bekommen hätte. Im Gegensatz dazu wären ihre Kontrollsucht und ihr negative Aura weit weniger leicht zu kaschieren gewesen.
    Viele Stunden später kreisten ihre Gedanken noch immer um den geträumten Liebesakt mit ihrem nackten Nachbarn. Die Tatsache, dass es sich dabei keineswegs um einen Liebesakt gehandelt hatte, störte sie nicht weiter. Sie ging ins Bad, vollführte ihr Zahnpflegeprogramm, schlüpfte in einen frischen Flanellpyjama und ging zu Bett.
    In dem Moment, als sie unter die Decke schlüpfte, ahnte sie noch nicht, wozu ihre Gedanken sie wenige Minuten später hinreißen würden. Denn an diesem ansonsten so gewöhnlichen Abend sollte endlich der Zeitpunkt gekommen sein, etwas schier Unbegreifliches zu tun.
    Doch in dem Moment, als sie zu Bett ging, wusste sie das noch nicht, und noch weniger ahnte sie, wie schön es sein würde. Sie ahnte nicht, wie befreit sie sich fühlen würde. Und am wenigsten ahnte sie, wie wahnsinnig triebgesteuert sie sein konnte.
     
Kapitel 14  
    Frau Hoffmann starrte in ihren Schrank. Alles war grau. Von ihrer nahtlose Unterwäsche, die selbst einen Mann ohne jegliche Ansprüche augenblicklich in die Flucht geschlagen hätte, über die Kostüme, bei denen jede Faser noch zu unterstreichen schien, dass sie das langweiligste aller Leben führte, bis hin zu den Socken, den wenigen Pullovern und den Faltenhosen. Alles schien ein exaktes Spiegelbild der Trostlosigkeit zu sein, die sich ihr Leben nannte. Für einen winzigen Augenblick dachte Frau Hoffmann an die oberflächliche Aussage, dass Kleider Leute machten, doch dann tröstete sie sich damit, dass sie eben nicht zu den Menschen zählte, die jedem noch so albernen Trend nacheiferten und griff nach einem ihrer tristen Kostüme.
    Sie betrachtete sich im Spiegel. Das Grau ihres Kostüms machte sie noch blasser und unscheinbarer, als sie es ohnehin schon war. Ihr langweiliges mittelbraunes Haar hing wie ein dünner, fransiger Vorhang um ihr ausdrucksloses Gesicht. Ihre Augen schienen leer und
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