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Renate Hoffmann

Renate Hoffmann

Titel: Renate Hoffmann
Autoren: Anne Freytag
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klar, dass sie sich viel zu schwach fühlte, um aufzustehen, weswegen sie sich kurzerhand doch gegen den Selbstmord entschied.
    Die Sonne verschwand hinter den gegenüberliegenden Plattenbauten, die Nacht verschluckte den Tag. Die Wohnungen der Nachbarn leuchteten um die Wette. Schwerfällig rappelte Frau Hoffmann sich auf, klemmte sich ihre Decke unter den Arm und ging zum Balkon. Mit jedem Schritt verstärkten sich ihre pochenden Kopfschmerzen. Vom Fenstersims nahm sie das Fernglas, dann wickelte sie sich ihre Decke um die Schultern und setzte sich ans Fenster.
    Herr Peters betrat das Wohnzimmer, wie immer nackt. Manchmal fragte sich Frau Hoffmann, ob er das absichtlich tat. Sie fragte sich, ob er insgeheim genau wusste, dass man ihn vom gegenüberliegenden Haus beobachtete, es vielleicht sogar genoss. Doch seine Art erschien ihr so natürlich, so gelassen, dass sie sich das beim besten Willen nicht vorstellen konnte. Frau Hoffmann wäre nicht einmal gegen Bezahlung nackt durch die Wohnung gelaufen, auch wenn dafür mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemand bezahlen würde. Vielleicht lag das auch daran, dass Frau Hoffmann sich nur zu gut vorstellen konnte, wie ihre Nachbarn vom gegenüberliegenden Plattenbau mit ihren Ferngläsern an den Fenstern klebten und über ihren nackten Anblick spotten würden. In diesem Fall war Frau Hoffmann, wie so oft, viel zu streng mit sich selbst. Denn auch, wenn Frau Hoffmann keine Schönheit war, so hatte sie durchaus eine Figur, die sich im Vergleich zu anderen wirklich sehen lassen konnte. Doch Frau Hoffmann war sich dessen, wie so vielen anderen Dingen, nicht bewusst. Herr Peters hingegen schien dem, was andere über ihn denken mochten, ohnehin keine große Bedeutung beizumessen. Er sah aus wie ein Mann, der zu sich selbst stand, mehr noch, sich selbst schätzte. Vielleicht war das mit ein Grund, warum er Frau Hoffmann derart faszinierte. Nackt herumlaufen war eine Sache, doch mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dazu gehörte eine gehörige Portion Eigenliebe.
    Herr Peters stieg auf seinen Hometrainer und rannte los. Er schien sich durch die Lauferei von irgendetwas zu befreien. Er wirkte jedes Mal sofort gelöst und entspannt. Seine Gesichtszüge wurden zart, sein Mund formte sich fast augenblicklich zu einem Lächeln. Frau Hoffmann konnte sich das nicht erklären. In ihrer Welt war es nämlich eine sportliche Höchstleistung, Einkaufstaschen vom Supermarkt an der Ecke bis nach Hause zu tragen.
     
Kapitel 12  
    Frau Hoffmann stand in ihrer Küche. Zu ihrem eigenen Entsetzen trug sie nur ihre graue Unterwäsche und dicke orange Wollsocken mit Anti-Rutsch-Beschichtung an der Sohle. Sie öffnete den Kühlschrank. Der karge Inhalt schaute sie traurig an. Sie schien etwas zu suchen, war sich aber nicht im Klaren, was es war. Vielleicht suchte sie etwas zum Anziehen, fragte sich aber warum sie ihre Kleidung im Kühlschrank vermutete. Als sie die Türe schloss, stand Herr Peters neben ihr, wie immer nackt. Sie erschrak zwar, jedoch nicht einmal annähernd so sehr, wie man es hätte annehmen können, bedenkt man die Tatsache, dass Frau Hoffmann niemals männlichen Besuch hatte, geschweige denn nackten. Herr Peters lief auf seinem Hometrainer, der nun in Frau Hoffmanns Küche stand. Er schaute sie neugierig musternd an. Frau Hoffmann erwiderte seinen Blick. Dann plötzlich fing er an zu reden. Seine Stimme und seine Art zu sprechen amüsierten Frau Hoffmann. Tatsächlich fand sie ihn so komisch, dass sie unvermittelt kurz aufquietschte, was Herrn Peters nicht weiter interessierte. Er sprach nasal gedrückt und dehnte jedes Wort in unnatürliche Längen. Seine Stimme und seine Intonation erinnerten sie spontan an Herrn Pofalla, den sie eigentlich nicht mochte. Herrn Peters Interpretation Pofallas hingegen gefiel ihr äußerst gut.
    „Warum beobachten Sie mich?“, fragte Herr Peters. Frau Hoffmann zuckte mit den Schultern. „Dann denken Sie nach.“ Frau Hoffmann dachte nach, dann schließlich sagte sie, dass sie es wirklich nicht wisse. „Ich mag Ihre Socken.“, sagte Peters unvermittelt. „Wo haben Sie die denn gekauft?“ Frau Hoffmann schaute hinunter zu ihren Füßen.
    „Auf einem Weihnachtsmarkt in Bayreuth“, antwortete sie.
    „Sind sie warm?“ Sie nickte. Unermüdlich lief Herr Peters weiter. Die gesamte Situation erschien Frau Hoffmann absurd, was nicht bedeutete, dass sie sie nicht amüsierte. Im Gegenteil. Herrn Peters Stimme und seine nasale
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