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Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog

Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog

Titel: Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
Autoren: Ilkka Remes
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Nachricht.«
    Der Klang der vertrauten Stimme beunruhigte Kimmo erst recht. Er unterbrach die Verbindung und stand vom Bett auf.
    »Wo willst du hin?«, rief Sirje ihm nach.
    Kimmo antwortete nicht. Durch die Jalousie fiel ein schwacher Lichtschein ins Wohnzimmer. Auf dem Balkon zeichneten sich die Umrisse der abgedeckten Gartenmöbel ab. Die Stand-by-Leuchten von Fernseher, Videorekorder und DVD-Player glommen in der Dunkelheit. In den Regalen standen Hunderte von VHSKassetten und DVDs, viele davon mit Robert de Niro, Kimmos größtem Idol. Er stellte sich vor die Balkontür. Im Haus gegenüber brannte in vielen Fenstern noch Licht, obwohl die Leute dort morgens früh zur Arbeit mussten. Auf der anderen Seite wohnten mehr Ausländer und Arbeitslose, die ihren Tag-und Nachtrhythmus wählen konnten, wie sie wollten. Kimmo kannte das Wohnviertel im Vantaaer Stadtteil Hakunila wie seine Westentasche. Er war als pubertierender Junge Mitte der Siebzigerjahre mit seinen Eltern von Kuopio hierhergezogen. Sein Vater war Zimmermann gewesen, seine Mutter Hilfsschwester.
    Er öffnete die Tür zu Julias Zimmer. Milder Parfumduft wehte ihm entgegen. Normalerweise betrat er nicht einfach so das Reich seiner Tochter, weshalb er sich unbehaglich fühlte, als er sich jetzt umsah. Die Mini-Stereoanlage auf dem Tisch leuchtete mit ihren LED-Lämpchen so bunt wie ein Christbaum. Auf dem Poster vom letzten Spanien-Urlaub lud das klare Mittelmeer zum Baden ein und bildete den größtmöglichen Kontrast zu der feuchtkalten Finsternis vor dem Fenster.
    Kimmo machte Licht im Flur und suchte im Speicher seines Handys nach der Nummer von Julias Freundin Jenni. Die beiden Mädchen waren seit der Grundschule unzertrennlich; viele, vielleicht sogar Hunderte Male hatte Kimmo die beiden irgendwo hingefahren oder abgeholt.
    Jenni meldete sich sofort, wach und neugierig. »Hallo Kimmo, was gibt's?« »Entschuldige, dass ich dich um diese Zeit störe ...« »Macht nichts, ich lern für Geschichte. Wieder mal im letzten Moment.«
    Ihre Antwort war für Kimmo wie ein Schlag ins Gesicht: Julia war also nicht bei Jenni.
    »Hast du etwas von Julia gehört? Sie ist immer noch nicht zu Hause. Und sie geht nichts ans Handy.«
    »Nicht zu Hause?«
    Jennis erstaunter Tonfall bereitete Kimmo eine Gänsehaut. »Julia ist so um acht vom Einkaufszentrum weg«, sagte Jenni. »Sie wollte noch wo vorbeigehen und dann nach Hause.« »Wo vorbei?« Kurzes Schweigen. »Irgendwo halt. Ich weiß es nicht. Aber du brauchst nicht nervös zu werden. Wenn jemand auf sich aufpassen kann, dann Julia. Ich telefoniere ein bisschen rum und sag dir dann Bescheid, wenn ich was höre. Kannst ruhig schlafen gehen.«
3
    Jenni klang munter. Eine Spur zu munter.
    Ronis Handy hatte gerade einmal geklingelt, da schnappte er es sich schon vom Nachttisch. Auf dem Display stand JENNI. »Hi«, sagte er, so ruhig er konnte.
    »Hast du schon gehört?«, fragte Jenni mit schriller, fremder Stimme. »Was gehört?« Stille.
    »Was gehört?« »Julia ... Julia ist tot.«
    Roni holte so tief und so schnell Luft, dass man ein röchelndes Geräusch aus seiner Kehle hörte. »Tot? Wie das denn?«
    »Sie ist ... umgebracht worden.« Jennis Stimme brach. »Ein Typ, der von einer Fete kam und die Abkürzung durch den Wald nahm, hat sie gefunden. Neben dem Weg.«
    »Oh, mein Gott...«
    »Ich ruf die anderen an«, sagte Jenni mit tränenerstickter Stimme. Roni legte das Telefon aus der Hand und setzte sich wacklig auf den Bettrand. Panik erfasste ihn und ließ sein Herz hämmern wie verrückt. Vor sich sah er Julias bleiches Gesicht.
    Langsam stand er auf und nahm die Jeans aus dem Wäschekorb. Der Anblick der Flecken auf den Knien ließ seine Hände zittern. Mit der Hose in der Hand öffnete er langsam die Tür, ging zum Bad und warf einen vorsichtigen Blick ins Wohnzimmer. Sein Vater schlief auf dem alten, weinroten Diwan; im Fernseher lief ein spanischer Schwarzweißfilm. Auf dem Boden neben dem Diwan lagen eine Hantel und ein Wörterbuch. Das war typisch für Vater: Er versuchte immer, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun.
    Im Bad stand ebenfalls ein Wäschekorb. Dort steckte Roni die Jeans hinein und legte andere Wäschestücke darüber. Dann wusch er sich das Gesicht mit eiskaltem Wasser. Die Schramme auf der Wange rötete sich leicht. Hatte ihn Julia gekratzt? Nein, die Schramme musste von einem Zweig stammen ... Auch Julia hatte Handschuhe getragen, orange Wollhandschuhe, unter ihren Fingernägeln konnten
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