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Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog

Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog

Titel: Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
Autoren: Ilkka Remes
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er einen Bogen um die Pfützen im ungepflasterten Hof. Die Haustür ließ sich nur mit einem energischen Ruck öffnen, denn sie war am oberen Rand durch die Feuchtigkeit aufgequollen. Roni hoffte, in sein Zimmer zu kommen, ohne dass sein Vater ihn sah. Er zog im dunkel getäfelten Windfang seine schmutzigen Schuhe und den Anorak aus und wäre fast über das funkelnagelneue Mountainbike seines Vaters gestolpert.
    Im Flur roch es nach stark gewürztem Essen, und dann erschien auch schon die sehnige Gestalt seines Vaters in der Küchentür.
    »Du kommst genau rechtzeitig zum Abendessen.« »Ich hab keinen Hunger«, sagte Roni und ging auf sein Zimmer zu.
    »Schau dir wenigstens an, was es gibt!«
    Der Übereifer seines Vaters ging Roni unendlich auf die Nerven; der Mann kapierte einfach nicht, wann es besser war, den Mund zu halten und andere Leute nicht mit seiner notorisch guten Laune zu malträtieren. Trotzdem warf Roni einen Blick  in das gedämpfte Licht der Küche mit den vollgestellten offenen Regalen und den vielen an Haken hängenden Töpfen. Der Tisch war lächerlich festlich gedeckt. In der Mitte stand der alte silberne Sektkübel, den der Vater zu einem Spottpreis ersteigert hatte, als das Savoy-Hotel in London saniert worden war. Zu allem Überfluss ragte noch eine Flasche Moet aus dem Kübel. »Hat Marcus angerufen?«
    Sein Vater nickte. Auf seinem Gesicht prickelte unverhohlene Freude. »Du errätst bestimmt, was er gesagt hat?«
    Roni zwang sich zu einem Lächeln und hörte sich die wortreiche Schilderung des Telefonats mit Marcus an. Die weitere Finanzierung war gesichert, aber damit nicht genug: Callaghan hatte am Tag zuvor noch einmal bei Marcus angerufen und Ronis Leistung in Monza vorbehaltlos gepriesen. An jedem anderen Tag wäre Roni deswegen in Jubel ausgebrochen - sehr beherrscht zwar, wie es seiner Art entsprach, aber dennoch.
    Jetzt blickte er lediglich verstohlen auf seine schmutzigen Knie und setzte sich schnell an den Tisch, damit sein Vater nicht auf die Erdreste an der Hose aufmerksam wurde. Aber er hätte sie wahrscheinlich ohnehin nicht bemerkt, denn er war ganz in seinem Element: Tero sprudelte wie der Champagner in seinem Glas.
    Roni zwang sich zu essen, auch wenn ihm das zunächst unmöglich schien. Während der Mahlzeit gingen sie das gesamte Herbstprogramm durch, bis der Vater sich begeistert in ein anderes Thema verirrte und von einem Mechaniker in Monza erzählte, der ein Nachkomme des mächtigen Geschlechts der Medici sei. Er habe sich gut in der Geschichte seiner Familie ausgekannt und versprochen, Tero bei Gelegenheit die familieneigene Kunstsammlung zu zeigen. Die Rennen seines Sohnes standen für Ronis Vater an erster Stelle, aber an zweiter Stelle kamen die vielen Möglichkeiten, die sich bei den Reisen zu den Rennen boten, in den alten Städten Mittel-und Südeuropas durch Antiquitätenläden zu streifen.
    Roni mochte nicht einmal so tun, als interessiere er sich für das Gerede seines Vaters, was an sich nichts Außergewöhnliches war. Doch etwas an seinem Verhalten machte Tero stutzig: »Was ist los mit dir?« »Wieso?«, gab Roni knapp zurück und schob sich mit Gewalt das letzte Stück Steak in den Mund.
    »Bedrückt dich etwas?«
    »Nein. Ich bin nur müde.« Roni stand auf. »Ich geh schlafen.«
    »Was hast du da an der Wange?« »Nichts. Ist bloß eine Schramme.« Der Vater musterte ihn forschend, stellte aber keine weiteren Fragen. Roni schloss die Tür seines Zimmers hinter sich und zog die Jeans aus. Er warf sie in den Wäschekorb neben der Tür und nahm eine Jogginghose aus dem Schrank.
    Das Zimmer war mit einem kitschigen Rosenmuster tapeziert, und in ihm herrschte perfekte Ordnung: neben den abgenutzten Möbeln ein paar Hefter, einige Sammelboxen aus Pappe und ein Poster aus Ronda, das einen Stierkämpfer zeigte. Auf dem alten Korkboden lag ein Flickenteppich, und in der Ecke stand ein nachgedunkelter Kachelofen. Die zwei großen Koffer daneben waren leichte Kohlenfasermodelle von Delsey.
    Roni nahm sein Handy und wählte Julias Nummer, aber sie meldete sich nicht. Er ließ sich in den Sessel fallen, setzte sich den Xbox-Kopfhörer auf, startete das bereits eingelegte Formel-i-Spiel und nahm rasende Fahrt auf. Tero schaltete die Spülmaschine ein, trank sein Champagnerglas leer und faltete die gelb-grüne Provence-Tischdecke zusammen.
    Er fragte sich, warum Roni trotz des Anrufs von Marcus so niedergeschlagen und unruhig war. Bedrückte ihn das Schicksal des
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