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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr
Autoren: Corinna R. Unger
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worden sei; er leistete seine Unterschrift, notierte darunter aber in einem Akt von Galgenhumor oder Widerstand: „Ich kann die Gestapo jedermann auf das beste empfehlen.“ 9 Nach einem Jahr im Londoner Exil starb Freud |21| 1939. Anna Freud wurde in England zu einer wichtigen Mitbegründerin der Kinderpsychoanalyse.
    Anna Freud
    Anna Freud war die jüngste Tochter Sigmund Freuds. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Volksschullehrerin, beschäftigte sich dann aber vor allem mit der Psychoanalyse, wurde selbst Psychoanalytikerin und assistierte ihrem Vater. Mit ihm reiste sie auf Kongresse, kümmerte sich um seine Korrespondenz, pflegte ihn, als er erkrankte, und organisierte die Flucht aus Wien. Im britischen Exil eröffnete sie gemeinsam mit ihrer amerikanischen Lebensgefährtin Dorothy Burlingham-Tiffany ein Heim für Kriegswaisen. Nach dem Krieg bauten sie das Heim zur Hampstead Clinic aus, einem kinderanalytischen Lehr- und Behandlungszentrum. Zugleich führte Anna Freud die Arbeit ihres Vaters fort und vertrat seine Ideen auf internationalen Kongressen.
    Gegenüber der Mehrheit der Exilanten, die sich 1938 zur Flucht entschlossen, war Sigmund Freud in klarem Vorteil. Er verfügte über hochrangige internationale Kontakte und erhielt relativ einfach eine Aufenthaltsgenehmigung für England, eine österreichische Unbedenklichkeitsbescheinigung und einen Pass – auch wenn all dies mit umständlichen bürokratischen Prozeduren und hohen Gebühren verbunden war. Die weniger prominenten Exilanten hatten unterdessen oft erhebliche Schwierigkeiten, Zuflucht im Ausland zu finden, weil die Einreisebestimmungen im Laufe der Dreißigerjahre immer restriktiver wurden. Damit mussten auch jene kämpfen, die im Zuge des antijüdischen Pogroms am 9. November 1938 verhaftet wurden – neben der Zerstörung der Synagogen, Geschäfte und Wohnungen ein Mittel der Nationalsozialisten, die jüdische Bevölkerung noch weiter einzuschüchtern. Etliche der etwa 30   000 Männer, die sie in diesem Zusammenhang in den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen inhaftierten und misshandelten, wurden nur unter der Auflage entlassen, innerhalb kürzester Zeit das Land zu verlassen. Doch schon der Versuch, eine Fahrkarte zu kaufen oder einen Pass zu beantragen, um in ein anderes Land einzureisen, konnte zum Spießrutenlauf werden. Die Geschichte von Hertha und Erich Nathorff steht stellvertretend für die Erfahrungen, die viele derjenigen machten, die bis Ende der Dreißigerjahre gehofft hatten, das NS-Regime werde seine Politik gegenüber der jüdischen Bevölkerung mildern.
    Die Nathorffs, ein in Berlin weithin bekanntes Arztehepaar, bemühten sich seit Sommer 1938 um die Ausreise, da sie als Juden nicht mehr praktizieren durften und damit keine Existenzgrundlage in Deutschland besaßen. Sie erhielten Unterstützung von Verwandten in den USA und warteten auf ihre Visa, doch dann wurde Erich Nathorff im Zuge des Novemberpogroms in Sachsenhausen interniert. Um ihre Männer aus der Haft zu befreien, versuchten viele Ehefrauen, die für die Ausreise notwendigen Papiere zu erhalten. So auch Hertha Nathorff: Sie sprach beim amerikanischen Konsulat und bei der |22| Auswandererberatungsstelle vor, versuchte, Schiffspassagen zu buchen, um vorweisen zu können, dass sie und ihre Familie tatsächlich ausreisen würden, und erkundigte sich nach Visamöglichkeiten für andere Länder. Schließlich buchte sie eine Passage nach Kuba und konnte somit einen Reisepass beantragen. Dieses Unterfangen nahm mehrere Tage in Anspruch und erforderte mehrere behördliche Unbedenklichkeitsbescheinigungen, weil das Deutsche Reich nicht auf möglicherweise noch ausstehende Steuern (u. a. die sogenannte „Reichs fluchtsteuer “, die Juden bezahlen mussten) verzichten wollte.
    Anfang Dezember 1938 erhielt Hertha Nathorff eine Quotennummer vom amerikanischen Konsulat, mit der die Einreise in die USA im Sommer 1939 möglich sein sollte. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, bewarb sich die Familie um eine britische Aufenthaltsgenehmigung; |23| nach vielen Mühen lag sie im Februar 1939 vor. In der Zwischenzeit mussten die Nathorffs allerdings erfahren, dass die Passage nach Kuba, die sie gekauft hatte, nicht erhältlich war. Im März schickte das Ehepaar seinen vierzehnjährigen Sohn mit einem Kindertransport nach London und begann mit der Auflösung der Berliner Wohnung. Alle Wertgegenstände bis auf einige Kleinigkeiten mussten sie weit unter Wert
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