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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr
Autoren: Corinna R. Unger
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meisten als Transitflüchtlinge, und auf die Philippinen emigrierten mehr als 1000 Menschen. Ebenso viele ließen sich in der Dominikanischen Republik nieder. 2
     
    Persönliche Schicksale
     
    Soweit die Zahlen. So wichtig sie sind, bleiben sie abstrakt, wenn man sie nicht mit den individuellen Erfahrungen verbindet, die hinter ihnen stehen. Eine Geschichte des Exils ist eine Geschichte von persönlichen Schicksalen. Selbstverständlich ähnelten sich die Lebensläufe vieler Exilanten, sodass sich einige Gemeinsamkeiten und Muster erkennen lassen. Doch letztlich kann man die konkrete Erfahrung des Exils und die Bedeutung, die sie für einen Menschen hatte, nur auf persönlicher Ebene annähernd nachvollziehen. Jeder einzelne Lebenslauf ist eine eigene Geschichte, die nicht mehr oder weniger repräsentativ für das Exil ist; das Exil ist individuelle Erfahrung. Wie einschneidend diese persönlichen Erfahrungen und Empfindungen in der (anhalten den ) Situation des Exils gewesen sein müssen, lässt sich nur erahnen. Die Philosophin Hannah Arendt fasste die Exilerfahrung 1943 so zusammen:
    Wir haben unsere Heimat verloren, und damit die Vertrautheit des täglichen Lebens. Wir haben unsere Arbeit verloren, und damit die Überzeugung, in dieser Welt nützlich zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren, und damit die Selbstverständlichkeit der Reaktionen, die Eindeutigkeit der Gesten, den ungekünstelten Ausdruck von |12| Gefühlen. Wir haben unsere Verwandten in den polnischen Ghettos gelassen, und unsere besten Freunde sind in Konzentrationslagern ermordet worden, und das bedeutet das Zerbrechen unseres privaten Lebens. 3
    Viele der Exilbiographien handeln von verletzten Leben, gescheiterten Karrieren und verlorenen Hoffnungen. Hinzu kam das Hadern einiger Exilanten darüber, dass ihre Familienmitglieder und Freunde, die nicht hatten fliehen können, verhaftet, gefoltert oder gar ermordet wurden, während sie selbst zumindest physisch in Sicherheit waren. In der Rückschau erschien vielen der eigene Lebenslauf als weniger tragisch, denn die konkrete Bedrohung war vorüber und die Existenz gesichert – man hatte sich arrangiert, und: man hatte eine potenziell tödliche Bedrohung überlebt. Bei allem Kummer, der mit dem Exil verbunden sein konnte, war die Exilerfahrung nicht immer nur traurig und düster. Menschen konnten im Exil glücklich sein, neue Bekanntschaften machen und Freundschaften schließen, sich verlieben, neue berufliche Möglichkeiten und neue Interessen entdecken, |13| sich für das Gastland und dessen Kultur begeistern. Der Schriftsteller und Verleger Hermann Kesten (geboren 1900 in Podwoloczyska, Galizien, gestorben 1996 in Basel) hat dies sehr eindrücklich formuliert:
    Für jeden anständigen Menschen muss das Dritte Reich eine Hölle gewesen sein. Auch das Exil war eine Art Hölle, und für einen großen Teil der Emigranten bedeutete es Hunger, Gefängnis, Jagd durch Behörden, stete Flucht vor der Gestapo und der deutschen Armee und Folterung und Tod in Konzentrationslagern, Gaskammern, Gestapobüros. Dazu kam die moralische Hölle, die Hilflosigkeit, die tragische Situation von Kassandra, das Repetierliche einer grausigen Entwicklung, das scheinbar Ausweglose, das internationale Obskurantentum, die internationale Senkung des humanen Niveaus, und die Angst vor dem unausweichlichen Krieg, und der Krieg! Aber jede Hölle hat auch ihre lichten Momente, ihre gemütlichen Ecken, wo des Teufels Großmutter strickt, ihre Witze, ihre Ruhepausen, ihre schönen Stellen. Ich müsste mein Leben verleumden, wenn ich sagen wollte, diese dreizehn Jahre der deutschen Schmach seien nur Bitterkeit und Verzweiflung, Todesangst und banale Prophetie gewesen. Ich habe wahrscheinlich mehr gesehn, gelebt, gedacht und gelitten, als ich in dreizehn Jahren zuhaus in Berlin getan hätte [...]. 4
    Hermann Kesten
    Der in Nürnberg aufgewachsene Schriftsteller Hermann Kesten gehörte in der Weimarer Republik zu den wichtigsten Vertretern der Neuen Sachlichkeit. Als Lektor des Kiepenheuer Verlags arbeitete er erfolgreich mit bekannten Autoren zusammen und entdeckte neue Talente, musste dann aber Deutschland verlassen, weil er als jüdisch galt. Von Paris aus arbeitete er für den Exilverlag Querido. 1940 wurde er interniert, konnte jedoch über Großbritannien in die USA fliehen; seiner Frau, Mutter und Schwester gelang es erst nach einigen Monaten, Frankreich zu verlassen. Im amerikanischen Exil setzte sich Kesten für die
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