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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr
Autoren: Corinna R. Unger
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Auschwitz ermordet wurde, denn „das würde bedeuten, dass Hitler mich wirklich besiegt hat, dass aus mir Hitlers Ebenbild oder Gegenbild, sein Sklave, ein bloßes Ding geworden ist“. 5
    Von den wenigsten Betroffenen gibt es solch explizite Erklärungen zum eigenen Selbstverständnis wie von Kurt H. Wolff. Aus pragmatischen Gründen werden deshalb im Folgenden die Begriffe „Exilant“ und „Emigrant“ synonym verwendet, ebenso „Heimat land “ und „Herkunftsland“, „Exilland“ und „Gastland“. Wenn von „Exilanten“, „Emigranten“ und „Remigranten“, „Künstlern“ und „Wissenschaftlern“, „Autoren“ und „Politikern“ die Rede ist, sind stets Frauen und Männer gleichermaßen gemeint, auch wenn die Erfahrung des Exils je nach Geschlecht unterschiedlich sein konnte.

|16| Auf dem Weg ins Exil – Gründe, Wege, Hindernisse
    W er das Exil vermeiden kann, tut es zumeist; das war auch im Nationalsozialismus der Fall. Die Mehrzahl derjenigen, die zwar die nationalsozialistische Politik ablehnten, aber nicht akut bedroht waren, arrangierten sich mit dem Regime, suchten sich Nischen, in denen sie ihrer bisherigen Tätigkeit relativ unbeeinträchtigt nachgehen konnten, und versuchten, so wenig wie möglich aufzufallen. Nur wenige, die weitgehend unbeschadet in Deutschland hätten „überwintern“ können, gingen aus Protest ins Exil, weil sie keine Kompromisse machen und sich nicht anpassen wollten. Einer von ihnen, der Autor Herbert Schlüter (geboren 1906 in Berlin, gestorben 2004 in München), wurde, so erzählten seine Freunde, 1933 in Berlin von einem SA-Mann angepöbelt, der ihn fälschlicherweise für einen Juden hielt. In diesem Moment entschied Schlüter: „Jetzt packe ich meine Koffer und reise ab.“ 6 Das tat er auch, aber nach einiger Zeit wurde ihm das Leben im Pariser Exil so schwer, dass er nach Deutschland zurückkehrte. Doch er merkte schnell, wie weit der Nationalsozialismus inzwischen in der deutschen Gesellschaft verankert war und konnte bzw. wollte sich nicht mit dieser Situation arrangieren. Also verließ er Deutschland abermals; die Stationen seines frei gewählten Exils waren Mallorca, Madrid und Florenz, bis er 1947 nach München zurückkehrte.
    Herbert Schlüter war eine Ausnahme. Die meisten verließen ihre Heimat und suchten Zuflucht im Ausland aufgrund von Diskriminierung, Bedrohung und Angst. Einige, wie das Ehepaar Katia Mann |17| (geboren 1883 in Feldafing, gestorben 1980 in Kilchberg) und Thomas Mann (geboren 1875 in Lübeck, gestorben 1955 in Kilchberg), hielten sich zur Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme zufällig im Ausland auf und kehrten nicht mehr nach Deutschland zurück. Katia Mann, die vor ihrer Heirat mit dem Autor der
Buddenbrooks
Mathematik und Physik studiert hatte, stammte aus der bekannten jüdischen Familie Pringsheim. Den Nationalsozialisten zufolge war sie Jüdin, ihre Kinder galten als „jüdische Mischlinge ersten Grades“. Allerdings war dies nicht der offizielle Grund, weshalb die Familie Mann ins Exil ging; weder Katia noch ihre Kinder definierten sich als jüdisch. Ausschlaggebend war für sie die politische Ablehnung des Nationalsozialismus. Im Februar 1933 veröffentlichte Thomas Mann einen Vortrag mit dem Titel „Bekenntnis zum Sozialismus“, in dem er sich für Humanismus und Bürgerlichkeit aussprach und indirekt vor den Nationalsozialisten warnte. Dafür geriet er ins Kreuzfeuer ihrer Kritik. Anstatt von einem Aufenthalt in der Schweiz nach München zurückzukehren, blieben Katia und Thomas mit ihren jüngeren Kindern in Zürich. Ihre älteste Tochter Erika Mann (geboren 1905 in München, gestorben 1969 in Zürich) kehrte bei Nacht und Nebel noch einmal in das Münchener Elternhaus zurück, das die Nationalsozialisten bewachten, und schmuggelte das Manuskript des
Joseph
-Romans ihres Vaters über die Grenze. Erikas Großeltern mütterlicherseits blieben vorerst in München, obwohl sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft bedroht waren. Erst 1939 gelang es ihnen, Deutschland zu verlassen und in die Schweiz zu fliehen.
     
    Diskriminierung und Verfolgung
     
    Die Diskriminierung aller etwaigen und als solcher definierten Feinde der Nationalsozialisten verschärfte sich seit 1933 kontinuierlich. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das im Frühjahr 1933 in Kraft trat, wurden „nichtarische“ Personen aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Zahlreiche Behörden, Vereine und
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