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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr
Autoren: Corinna R. Unger
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Nationalsozialisten die Emigration am 1. Oktober 1941 verboten, gelang noch einmal 18   000 bis 20   000 Menschen die Flucht.
     
    Transit
     
    Solange es die politische Lage zuließ, flohen zahlreiche Menschen in die Tschechoslowakei und nach Frankreich, wo große Exilgemeinden entstanden. Schon Ende 1933 befanden sich etwa 30   000 deutsche Emigranten in Frankreich, und im südfranzösischen Sanary-sur-Mer etablierte sich eine deutsche Künstlerkolonie. Paris und Prag wurden zu Zentren der deutschsprachigen Emigration. Hier fanden Exilanten Kontakte zu anderen Flüchtlingen und politischen Gruppen, die ihnen behilflich waren, Arbeit zu finden und gegebenenfalls die weitere Emigration zu planen. Doch gerade dieser Schritt fiel schwer, denn er bedeutete neuerliche Unsicherheit und zugleich das Eingeständnis, dass man sich von den Machthabern vertreiben ließ. Hermann Kesten beschrieb seine Situation im französischen Exil im Oktober 1938 folgendermaßen:

    Ich fürchte den Krieg und diesen Frieden, verabscheue dieses neue Europa und hänge am alten Erdteil, möchte fliehen und habe weder Papiere noch Geld. 12
    Strukturelle Hindernisse und psychologische Hürden bedingten, dass viele der Gefährdeten erst spät und unter immer schwierigeren Umständen den Weg in ein wirklich sicheres Exil antraten.
    |28| Je später die Flucht aus dem nationalsozialistischen Machtbereich glückte, desto größer waren die Opfer an Hab und Gut, aber auch die psychischen Lasten im Gepäck. 13
    Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland und der Annexion eines großen Teils der Tschechoslowakei im Zuge des Münchener Abkommens verschärfte sich die politische Situation 1938 für die Exilanten erheblich. Nun wurde klar, dass an eine Rückkehr so bald nicht zu denken war, sodass sie sich auf ein längeres Exil einstellen mussten. Die Familie Mann zum Beispiel, die sich seit 1933 in Zürich aufhielt und die Lage in Deutschland beobachtete, entschied sich angesichts der politischen Situation 1938, in die USA zu gehen. Thomas Mann hatte bis dahin die Hoffnung gehegt, dass sich ein Arrangement finden lasse und er nach Deutschland zurückkehren könne; u. a. aus diesem Grund hatte er auch darauf verzichtet, sich öffentlich zur politischen Situation zu äußern. Sein Bruder Heinrich Mann war der weitaus prominentere Gegner des Regimes, und auch die beiden ältesten Mann-Kinder hatten viel früher und energischer als ihr Vater begonnen, öffentlich Stellung gegen die Nationalsozialisten zu beziehen. Klaus Mann schrieb antifaschistische Romane und Reportagen und gab zeitweilig eine Zeitschrift,
Die Sammlung
, heraus, in der exilierte Schriftsteller publizierten.
    Erika Mann, eine in der Weimarer Republik weithin bekannte Schauspielerin, Kabarettistin und Journalistin, eröffnete am 1. Januar 1933 in München ein eigenes Kabarett, „Die Pfeffermühle“. Dass sich das Kabarett anfangs im Gebäude in enger Nähe zum Hofbräuhaus befand, in dem 1920 die NSDAP gegründet worden war, ließ sich durchaus programmatisch deuten. Gemeinsam mit Therese Giehse (geboren 1898 in München, gestorben 1975 in München), ihrem Bruder Klaus und anderen linksorientierten Kolleginnen und Kollegen schrieb und inszenierte Erika Mann Stücke mit politischen Anspielungen, die beim Publikum auf großen Anklang stießen. Wenige Wochen nach der Eröffnung des Kabaretts übernahmen die Nationalsozialisten auch in München die Macht, und Erika floh Mitte März |29| nach Zürich. Dort eröffnete sie die „Pfeffermühle“ neuerlich im September 1933, bis das Kabarett 1934 nach Basel umzog. Im Exil verschärfte die „Pfeffermühle“ ihre Kritik an den Nationalsozialisten. Jene reagierten darauf, indem sie Erika Mann 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannten; die Kabarettistin hatte jedoch rechtzeitig eine Zweckehe mit dem Schriftsteller Wystan H. Auden geschlossen, um einen britischen Pass zu erhalten. Als der nationalistische Widerstand gegen das antifaschistische Programm der „Pfeffermühle“ in der Schweiz zu groß wurde, tourte die Gruppe durch die Tschechoslowakei und die Benelux-Länder. Insgesamt trat sie bis Mai 1936 mehr als eintausend Mal auf und verbreitete ihre Kritik am NS-Regime europaweit.
    Dass der weltberühmte Thomas Mann unterdessen zwar die Aktivitäten seiner Kinder befürwortete, selbst aber schwieg, provozierte 1936 einen heftigen Streit in der Familie. Erika warf ihrem Vater vor, zu sehr auf seinen
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