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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr
Autoren: Corinna R. Unger
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nördliche Zone Frankreichs zu verlassen. Jene, denen dies nicht gelang, sowie die der Fremdenlegion beigetretenen Flüchtlinge wurden wiederum in Zwangsarbeitslager interniert
( Groupements de travailleurs étrangers
). Im Februar 1942 belief sich die Zahl der dort Festgehaltenen auf etwa 38   000 Menschen. 16
    Die Geschichte der Flüchtlinge aus den deutschsprachigen Gebieten, die vom Kriegsausbruch überrascht wurden, hat die Schriftstellerin Anna Seghers (geboren als Netty Reiling 1900 in Mainz, gestorben 1983 in Ost-Berlin) in ihrem berühmten Buch
Transit
festgehalten, das als einer der bedeutendsten Exilromane gilt. Seghers, die aus einer orthodoxen jüdischen Familie stammte, hatte Geschichte, Kunstgeschichte und Sinologie in Köln und Heidelberg studiert und 1924 promoviert. Nachdem sie sich bereits während ihres Studiums |32| an den Aktivitäten linker Kreise beteiligt hatte, trat sie 1928 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei und war Mitgründerin des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Im selben Jahr erhielt sie den Kleist-Preis und nahm den Künstlernahmen Seghers an. Sie schrieb Beiträge für kommunistische Zeitungen wie
Die Rote Fahne
und
Die Linkskurve
und veröffentlichte 1932 das antifaschistisch motivierte Buch
Die Gefährten
. Daraufhin wurde sie von der Gestapo verhaftet und floh nach ihrer Entlassung mit ihrem Mann, Laszlo Radványi (geboren 1900 in Budapest, gestorben 1978 in Ost-Berlin), und ihren beiden Kindern Peter und Ruth über die Schweiz nach Frankreich. In Paris arbeitete sie als Redaktionsmitglied der
Neuen Deutschen Blätter
, war in politischen Exilgruppen aktiv, schrieb für deren Zeitschriften und nahm an antifaschistischen Künstler- und Schriftstellerkongressen teil. Ihr Mann wurde mit Kriegsbeginn von den Franzosen in einem südfranzösischen Lager interniert. Währenddessen musste sich Seghers mit den Kindern in Paris verstecken, nachdem ihr erster Versuch, vor der Wehrmacht ins unbesetzte Südfrankreich zu fliehen, gescheitert war. Erst im zweiten Anlauf gelang die Flucht. Um in der Nähe ihres Mannes zu sein, hielt sich Anna Seghers in der Gegend um Marseille auf; von dort aus bemühte sie sich auch um Papiere für die Flucht aus Europa. Im März 1941 konnte die inzwischen wieder vereinte Familie über Martinique und New York nach Mexiko reisen.
    Dort trafen die Flüchtlinge insgesamt gute Bedingungen an. Zwar waren sie anfangs auf die Hilfe religiöser, politischer oder karitativer Gruppen angewiesen, doch immerhin konnten sie „ohne Furcht vor staatlicher Repression und einer möglichen Illegalisierung“ leben, „ohne Angst, von den faschistischen Armeen eingeholt zu werden“. 17 Die mexikanische Regierung, die seit 1942 zur Anti-Hitler-Allianz gehörte, machte es den europäischen Exilanten relativ leicht, die mexikanische Staatsangehörigkeit zu erwerben, sodass sie juristisch gleichgestellt waren, arbeiten und reisen konnten. Auch diesen Umständen war es zu verdanken, dass Anna Seghers innerhalb kurzer Zeit ihren Roman
Transit
schreiben und 1944 veröffentlichen konnte.
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Transit
basiert u. a. auf den eigenen Erfahrungen der Autorin in Marseille. Erzähler des Romans ist ein junger Mann, der aus einem deutschen Konzentrationslager geflohen und in Frankreich untergetaucht ist, bis er bei Kriegsausbruch interniert wird und kurz nach dem Einmarsch der Deutschen nach Südfrankreich flieht. In Marseille beobachtet er die verzweifelten Versuche der deutschen Flüchtlinge, Visa für die USA, Mexiko, Kuba und andere Länder zu beantragen, nimmt die Identität eines Flüchtlings an, der Selbstmord begangen hat, und verhilft Bekannten zur Flucht. Der Titel des Buches,
Transit
, ist doppelt belegt: Zum einen verweist er auf die Kategorie des Transit-Visums, das die Exilanten benötigten, wenn sie durch andere Länder reisen mussten, um an ihren Zielort zu gelangen. Dieses Visum zu erhalten bedeutete eine zusätzliche bürokratische Hürde, an der etliche Flüchtlinge scheiterten. Zum anderen steht „Transit“ als „Chiffre für die transitorische Existenz, für den das Leben beherrschenden Zustand der Durchreise, den die Emigranten auf sich nehmen mussten“. 18 Parallel zu dieser Erfahrung des improvisierten Lebens in abgewohnten, hellhörigen Hotelzimmern bei ständig schwindenden finanziellen Mitteln fanden sich viele Flüchtlinge in Marseille mit scheinbar unüberwindbaren Problemen konfrontiert: Die strikten Visaquoten, kurzfristig
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