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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
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an, als wolle er mir unbedingt etwas sagen.
    »Besuchen Sie Ihre Erbtante?« fragte Minna.
    »So etwas habe ich nicht«, sagte ich. »Ich habe gedacht, ich schau mir Kiel einfach mal an.«
    Das war das Stichwort für den Dürren. Er sagte weinerlich betrunken: »Kiel kannst du dir abschminken, Mensch, Kiel ist beschissen und dreckig und oberflächlich und, ach was, Mensch.«
    »Er ist schlechtgelaunt«, sagte Minna. »Er ist immer schlechtgelaunt. Nicht wahr, Werner, schlechte Laune haben ist dein Job.«
    »Red keinen Scheiß«, widersprach er heftig. »Weißt du, was mir Sorgen macht? Was mir wirklich große Sorgen macht?«
    »Nein, weiß ich nicht«, antwortete ich.
    »Israel«, sagte er, »jawoll, Israel. Besonders seit der letzten Wahl. Glaubst du im Ernst, daß wir Frieden kriegen in Nahost?«
    »Nein, glaube ich nicht.«
    »Aha, ich sehe, du hast Ahnung. Kriegen wir auch nicht. Schamir oder Rabin, die machen immer weiter auf dem aggressiven Trip, sage ich.«
    »O Gott«, murmelte Minna. »Vorgestern war es Irland, vorige Woche hatte er Südafrika drauf. Jetzt ist es Israel.«
    »Du hast keine Ahnung«, schnauzte der Dürre mit Armbewegungen, als wolle er das ganze Lokal leeren. »Israel ist das Problem in der Welt, Ihr wißt es alle nur noch nicht. Wartet mal ab, wartet mal ab.« Dann brummelte er irgend etwas vor sich hin und sagte schroff: »Das macht mir Kummer, jawoll. Gib mir noch einen doppelten Whisky.«
    »Werner, du bist voll genug!« mahnte Minna.
    »Minna, du bist jetzt ruhig«, sagte er grinsend. »Gib mir den Whisky, und ich verspreche, es ist der letzte.«
    »Also in Gottes Namen«, sagte Minna. Sie sah mich an und erklärte: »Ich heiße wirklich so.«
    »Hübsch«, sagte ich. »Minna ist doch toll.«
    »Nä, im Ernst«, murmelte Werner, »Israel ist kein Staat, ein Pulverfaß ist das …«
    »Freiheit, Demokratie und ein eigenes Land den Palästinensern«, sagte Minna schnell. »Und jetzt ab, nach Hause. Sonst rufe ich deinen Vater an, und der liest dir die Leviten.«
    Werner nickte und trollte sich. Er steuerte traumhaft sicher und mit hoher Geschwindigkeit um die Stühle und Tische herum, ohne auch nur irgendwo anzuecken. Das können nur Betrunkene.
    »Er leidet an der Welt«, murmelte Minna. »Also, Sie machen eine Urlaubsreise?«
    »Das kann man so ausdrücken«, sagte ich. Der Gedanke war wirklich erheiternd. »Kennen Sie Watermann?«
    »Wen meinen Sie? Die Familie? Den Toten?«
    »Den Toten«, murmelte ich, »den Toten.«
    Sie hatte ein schmales, hübsches Gesicht, in dem alles, bis auf die Augen, klein und zierlich geraten war. Jetzt war das alles mißtrauisch verkrampft, und die Farbe der Haut spielte plötzlich ins Grau hinein. »Wieso sollte ich?« fragte sie.
    »Das weiß ich nicht, es war nur eine Frage. Ich bemühe mich um ein Interview mit ihm.«
    »Wie bitte?« Sie war irritiert, und sie fühlte sich auf den Arm genommen. »Das finde ich gar nicht komisch.«
    »Es ist auch nicht komisch«, murmelte ich.
    »Moment mal«, ihre Augen waren sehr dunkel, »sind Sie ein Hellseher oder irgend so etwas, oder sind Sie in esoterischen Überlegungen ersoffen? Der Mann ist tot, falls Sie den meinen, den ich meine.«
    »Den meine ich. Ich will ihn nicht im Reich der Toten besuchen, ich habe nur versucht, einen Wunsch zu formulieren. Mit dem möchte ich ein Interview.«
    »Er hat massenweise Interviews gegeben, viele Seiten erhabene Wortblasen abgelassen. Das können Sie alles nachlesen.«
    »Das habe ich, das führt zu nichts. Der Mann ist tot, ich weiß. Man hat sich offiziell darauf geeinigt, daß er sich in übergroßer Schuld das Leben nahm. Das glaube ich nicht. Ich glaube, man hat ihn getötet, deshalb bin ich hier.«
    »Warum erzählen Sie mir das?« Sie stand an den Bierhähnen und zapfte mit großer Übung Gläser voll. Ich war jetzt der letzte Gast an der Theke, nur ein paar Tische waren noch besetzt.
    »Sie haben mich gefragt, was ich in Kiel mache, also sage ich es. Sind Sie schlechtgelaunt?«
    Ihr Mund war ein schmaler Strich. »Sie sind also Journalist, oder so was?«
    »Eher so was«, sagte ich.
    Sie sah mich an. »Sie fragen mich nach Watermann. Wie soll ich über den was wissen? Ich meine, Sie haben doch einen Grund, ausgerechnet mich zu fragen, oder?«
    »Habe ich nicht. Ich komme frisch von der Autobahn, ich kenne hier keinen Menschen, ich habe Leute auf der Straße gefragt, wo man etwas essen kann. Sie haben mir das Bistro empfohlen. So war das.«
    »Das soll ich
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