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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
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es Zeit, etwas anderes zu suchen.«
    »Einen Job als Dr. Minna Tenhövel? Arbeit an einer Uni oder in einem Institut?«
    Sie schüttelte wieder den Kopf. »Kein Interesse, da muß ich zuviel schleimen. Vielleicht gehe ich nach Hamburg oder nach München. Mal sehen.«
    »Wieder ein Bistro?«
    »Warum nicht? Wenn du hübsch sparsam bist, kann es dich gut ernähren.«
    »Was ist Watermann für ein Kerl gewesen?«
    »Wenn ich das wüßte. Er war nicht ein Kerl, er war mehrere Kerle. Er war sicher faszinierend, er war abstoßend, er war arrogant, und manchmal war er sogar lieb.«
    »Hat er die Abtreibung finanziert?«
    »Nein, hat er nicht. Er wollte, aber ich wollte es nicht. Ich habe es auf meine Kosten gemacht. Ich war in einer Klinik in Amsterdam. Ich …«
    »Wie kam es eigentlich überhaupt dazu?«
    Sie kicherte unvermittelt.
    »Nun, Wahlkampf, das bedeutet, man arbeitet ehrenamtlich für die Landesparteizentrale hier in Kiel. Man telefoniert herum, spricht mit Ortsverbänden, Säle werden angemietet, Gastredner verpflichtet, Hotelzimmer für den Kandidaten gebucht, Helfer bei den Ortsvereinen gesucht. Du mußt sehen, daß das Werbematerial rechtzeitig kommt, daß Stände aufgebaut werden, daß die Feuerwehrkapelle spielt und so weiter und so fort. Dann ziehst du mit der Truppe übers Land. Du mußt Optimismus verbreiten, immer lächeln, immer gut drauf sein.«
    »Kannten Sie ihn schon lange?«
    »Ja, sicher, durch meinen Papa. Ich war eines von den kleinen Mädchen, denen er schon als Innenminister über den Kopf streichelte. Aber er hat nicht gewußt, wer ich bin, wer mein Vater ist, wie ich heiße.«
    Sie sah mich nicht an. »Er war das, was man klassischerweise als leutselig bezeichnet. Man hatte immer den Eindruck: Er meint dich ganz persönlich, aber gleichzeitig war einem klar, daß er nicht einmal wußte, wer man war.«
    »Auf welchem Typ Frau stand er?«
    »Also der intellektuelle Typ fällt völlig aus, der machte ihm eher Angst. Der mondäne Typ paßte ihm nur, wenn … na ja, wenn er doof genug war. Der mochte die fraulichen, die weichen Typen …«
    »Also Sie?«
    »Also mich.«
    »Und wie lief das?«
    »Ganz undramatisch. Du bist von morgens bis abends auf den Beinen, du managst. Du sorgst dich um alles. Das geht von Bands und Live-Auftritten bis zu belegten Brötchen. An dem Abend, an dem es passierte, hatte er gerade seine Rede gehalten und hockte mit irgendeinem Dorfbürgermeister zusammen.« Sie unterbrach sich, dachte an irgend etwas, schüttelte mit dem Kopf.
    »Das erinnert mich an die Schleimis, wie wir sie immer nannten. Egal ob Dorfbürgermeister oder kleine Parteivorsitzende, Bauunternehmer, Friseure, Handwerker, Bauern, Apotheker, Ärzte: Sie alle suchten seine Sonne, und sie versuchten immer, möglichst privat mit ihm fotografiert zu werden. Als der Knall passierte, sagten ziemlich viele von ihnen: Ich habe ihn ja nur flüchtig gekannt! Mein Gott, soviel Mittelmäßigkeit. Aber egal. Mein Kandidat hatte also total die Nase voll von dem Rummel. Ich hockte draußen auf der Festwiese. Es war Kirmes, jedenfalls war da ein Kinderkarussell, ich saß auf einem Holzpferd. Da kam er ganz nachdenklich zu mir und sagte: Man müßte einfach aussteigen! Für ein paar Stunden! Ich sagte: Dann machen wir das doch. Mein Gott, war ich bescheuert. Ich hatte das Auto meines Vaters dabei. Wir stiegen ein und hauten ab. Natürlich konnten wir kein Hotelzimmer mieten, aber wir hatten das Auto. So fing das an. Es passierte noch dreimal. Es war keine rauschende Liebesgeschichte. Als ich merkte, daß ich schwanger war, ging ich zu ihm hin und sagte es ihm. Ich sagte: Ich kriege ein Kind von dir. Er erschrak, er erschrak wirklich. Ich hatte den Eindruck, er war um meinetwillen erschrocken. Er fragte: Was kann ich tun? Nichts! sagte ich. Er hatte auch gar keine Zeit, er war mit den Gedanken immer woanders. Also mußte ich allein damit zurechtkommen.«
    »Hatten Sie den Eindruck, daß ihm so etwas schon bei anderen Frauen passiert ist?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hat er sich noch einmal erkundigt? Bei Ihnen gemeldet? Nachgefragt?«
    »Hat er. Von der Staatskanzlei aus.«
    »Glauben Sie, daß seine Frau etwas davon wußte?«
    »Nein, glaube ich nicht.«
    »Können Sie sich an die Sekunde erinnern, als im Radio oder im Fernsehen verkündet wurde, er sei in einer Badewanne tot aufgefunden worden? Was war Ihr erster Gedanke?«
    »Mein erster Gedanke war: Die dumme Kuh hat versagt!«
    Sie wurde unruhig, stellte die
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