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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
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nackten Füße auf den Teppich und ging zu einem Regal mit Büchern.
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Es liegt aber so nahe«, murmelte sie. »Hier war seit Tagen die Hölle los. Gerüchte schwirrten in der Luft. Sie können sich nicht vorstellen, was hier in Kiel los war, als Schlag auf Schlag bekannt wurde, was Watermann alles angestellt hatte, um den Oppositionschef madig zu machen. Man hatte den Eindruck, Watermann sei das einzige linke Superschwein zwischen hier und Rio. Ich habe Freunde im Kieler Landeshaus, ich war da. Das ist unvorstellbar. Alle Regierungsmitglieder hingen ununterbrochen am Telefon und berieten sich, was jetzt zu tun sei, was man sagen sollte und was nicht. Immer wieder zeigten alle Fernsehsender sein Ehrenwort an die Nation. Plötzlich nimmt der Mann seine Frau und fliegt in den Urlaub, einfach so. Ich denke: Mich trifft der Schlag! Das kann der doch nicht machen! Dann dachte ich: Hoffentlich ist die Frau clever genug, bucht unterwegs den Flug um und versteckt ihren Kerl irgendwo auf Feuerland oder in der Mongolei. Aber nix da: Sie hatten Gran Canaria gebucht, also flogen sie auch dorthin. Das war der Fehler.«
    »Warum war das ein Fehler?« fragte ich in die Stille.
    Sie drehte sich sehr schnell um zu mir. Sie war wütend. »Dieser Mann hat viele Monate lang nur Scheiße gebaut. Er hat versucht, den Oppositionsführer zum Schwulen zu machen, er hat ihn bei der Steuerfahndung anschwärzen lassen. Er hat sogar eine ganz billige Nummer von Privatdetektiv auf ihn gehetzt. Mag ja sein, daß er zuviel Medikamente fraß und nicht mehr richtig denken konnte. Aber die Frau hätte dazu in der Lage sein müssen. Der Mann wußte garantiert von so vielen Leichen im Keller der Partei, daß es ausgereicht hätte, die Bundesregierung und ein paar Landesregierungen zu stürzen. Die Weltwoche, der Spiegel, der Stern, die Frankfurter Rundschau wußten doch genau, wo der Mann jeweils war, was er tat und was er vorhatte. Wieviel konnten die ihm für sein Wissen bieten? Eine Million, zwei Millionen, drei Millionen? Gran Canaria war das dämlichste Ziel, das er sich aussuchen konnte. Daß er überhaupt auf die Idee kam, Ferien machen zu können, ist wahnwitzig. Nein, nein, die Tussi hat vollkommen versagt. Sie hätte Gran Canaria anvisieren können, um dann umzubuchen und abzutauchen. Er brauchte Ruhe, er mußte sich finden …«
    »Sie kennen alle Details in diesem Fall, nicht wahr?«
    Sie war sehr still. Sie nickte. »Ich kann es einfach nicht vergessen. Das mit dem Baby hat mich geschmissen, Mann. Das war einfach furchtbar.« Sie weinte, sie kniff die Lippen zusammen.
    »Sie glauben, daß er reden wollte?«
    »Unbedingt. Es gibt deutliche Zeichen dafür. Er trat als Ministerpräsident zurück und flog in diesen Urlaub. Hier in Kiel trat der Untersuchungsausschuß zusammen, und die Parteiführung forderte ihn auf, er solle sein Landtagsmandat zurückgeben. Es war sogar von Parteiausschluß die Rede. Davon erfährt dieser Mann aus der Zeitung, kein Mensch hat persönlich mit ihm darüber gesprochen, nicht einmal dieser aalglatte Ziehvater, der nie von irgend etwas gewußt hat und sich nie zuständig fühlt. Das muß man sich einmal überlegen: Watermann hat alles über seine Partei erreicht, aber er hat der Partei auch sein ganzes Leben geschenkt. Dann sagt die Partei: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Das war supermies.«
    »Meinen Sie, daß er nach Genf flog, um zu reden?«
    »Ja«, murmelte sie. »Glauben Sie nicht, daß das sein kann?«
    »Doch, doch.« Mein Mund war sehr trocken.
    Sie sah mich kurz an. »Nehmen wir an, er hätte bei dem Deal mit den U-Boot-Plänen für Südafrika Roß und Reiter genannt. Nehmen wir an, er hätte bei der Vermittlung von Waffenkäufen über die Ex-DDR Roß und Reiter nennen können. Nehmen wir an, er hat genau gewußt, wie die staatliche Firma der DDR, die Koko, funktionierte und wer bei denen privat abkassierte. Nehmen wir an, er konnte etwas über organisiertes Verbrechen erzählen – zumindest im Punkt der Waffenkäufe und Verkäufe in kriegführende Drittländer. Nehmen wir an, ach du lieber Gott, hören wir auf damit. Was wäre das wert gewesen?«
    »Millionen, was weiß ich. Wußte er denn das alles?«
    Sie sah mich sehr wach an und begann zu lachen. »Sie glauben doch auch, daß er ermordet worden ist. Wenn Sie so fest davon überzeugt sind, muß er einen großen Teil all dieser Dinge gewußt haben.«
    »Motive wie Sand am Meer«, murmelte
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