Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
vorbeirauschen konnte. Er war sicher zwei Meter groß und trug ganz enge, schwarze, verdreckte Jeans in klobigen, bedrohlichen Kampfspringerstiefeln. Darüber ein schwarzes, weit ausgeschnittenes T-Shirt. Seine Arme waren bis zu den Schultern hinauf tätowiert. Es waren billige Tätowierungen, meistens Schlangenköpfe und Kreuze. Auf der Schlagader an der linken Halsseite hatte er sich für eine Spinne entschieden. Sein Haar hatte er sich bis auf einen Millimeter abgeschnitten, sein Kopf war länglich, ein wenig nach hinten gedrückt. Sein Gesicht war eine merkwürdige Mischung aus reinem Toren und wütender Kampfmaschine. Er war der Typ, der ganz beglückt von sich behauptete: »Wenn ich zuschlage, weiß ich nicht mehr, was ich tue!« Sein Gesicht war eine einzige Kraterlandschaft. Die Pickel hatte er geschafft, aber die Narben waren ihm geblieben. Er hatte merkwürdig helle Augen, ins Grüne hinüberschillernd.
    Jetzt machte er drei Schritte vorwärts in den Raum hinein, blieb stehen und sagte: »Wenn du Minna irgendwie in die Scheiße reitest, mache ich dich alle.« Er sprach Hamburger Slang und hatte eine hohe, kindliche Stimme.
    »Kannst du dich setzen, bevor du mich alle machst?« fragte ich sachlich. »Hier ist noch Wein.«
    »Haste auch ’ne Kippe?«
    »Ich rauche keine Zigaretten, nur Pfeife.«
    »Oh, ein vornehmer Herr!« Er marschierte auf den Sessel links neben mir zu und ließ sich hineinfallen. Es war erstaunlich, daß der Sessel nicht zusammenbrach.
    Minna setzte sich, sah ihn liebevoll an und erklärte: »Karl-Heinz paßt auf, daß mir nichts passiert.«
    »Das finde ich gut«, sagte ich.
    »Na ja«, meinte er unsicher, »so gut es eben geht. Und du? Was treibst du so?«
    »Ich bin Journalist. Ich recherchiere gerade unserem seligen Herrn Watermann hinterher.«
    Er senkte den Kopf zwischen seine unendlichen Beine, blickte dann hoch und fragte scharf: »Du willst natürlich die Geschichte von Minnas Baby.«
    »Die will ich nicht«, sagte ich ruhig.
    »Die kennt er längst«, schob Minna schnell ein.
    »Was machst du, wenn er sie trotzdem in seine Zeitung schreibt?« Er sah Minna zornig an.
    »Karl-Heinz«, sagte Minna sanft wie eine Mutter. »Du mußt dich nicht über irgend etwas aufregen, was nicht geschehen kann. Baumeister ist ein alter Kumpel, wir kennen uns seit Jahren.«
    »Er legt dich nicht rein?«
    »Ich lege sie nicht rein«, bestätigte ich.
    »Ihr redet über alte Zeiten?« fragte er und sah wieder auf den Teppich zwischen seinen Springerstiefeln.
    »Na sicher, was sonst?« fragte Minna. »Jetzt kannst du heimwärts marschieren, hier ist alles klar.«
    »Über was schreiben Sie denn so? Wirklich über diesen … diesen Verräter Watermann? Mann, ich kann den Namen nicht aussprechen, sonst muß ich kotzen.«
    »Du kannst den Namen ruhig aussprechen«, sagte ich. »Es ist auch nicht mehr als ein Name.«
    »Aber er hat der Nation Schande gemacht«, zischte er verkniffen.
    »Was hat er?« Ich war verblüfft.
    »Er hat der Nation Schande gemacht«, wiederholte Karl-Heinz. »Ich sage nur, er war ein Spion für die Sache der ewigen Juden. Das verderbte Zion braucht solche Verräter.«
    »He«, murmelte ich erschreckt, »was redest du da für einen Unsinn. Er wurde zwar um die Ecke gebracht, aber mit dem Judentum hatte das sicher nichts zu tun.«
    Minna hockte mit sehr weißem Gesicht auf dem Sofa und rauchte nervös. »Mußt du jetzt nicht gehen, Karl-Heinz?«
    »Ja, ja, ich geh gleich.« Er wagte es nicht, sie anzusehen.
    »Kannste denn beweisen, daß dieser Watermann gekillt wurde?«
    »Noch nicht«, sagte ich. »Vielleicht bald.«
    »Und du reitest Minna nicht in die Scheiße?«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf und sah ihn an. »Sie ist meine Freundin. So, wie sie deine Freundin ist.«
    »Okay, okay«, murmelte er und stiefelte zur Tür. Dann drehte er sich herum und sagte: »Ich sehe dich morgen abend im Harlekin, Minna.«
    »Natürlich«, sagte sie brav. »Und schönen Dank für deinen Besuch.«
    Wir hörten, wie er die Treppe hinunterging und unten die Tür ins Schloß fallen ließ.
    »Das war knapp«, sagte sie spröde.
    »Das war es«, sagte ich. »Diese Art von Beschützer kann sehr gefährlich sein. Ist er aus Kiel?«
    »Nein. Er ist aus der Gegend von Rostock. Er jobbt hier bei der Müllabfuhr. Er tauchte vor einem halben Jahr auf, setzte sich an die Theke, trank Kaffee, niemals Alkohol, und er war nicht mal aufdringlich. Einmal kam so ein Heini aus München von einer dieser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher