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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
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anrücken wie Sprengstoff oder auch Handgranaten.«
    »Wollen Sie mich verarschen?« fragte ich.
    »Nicht im geringsten«, sagte er. »Wir könnten auch versuchen, Sie vorher aus dem Haus zu holen. Aber das erscheint uns fragwürdig. Wir können andererseits nicht garantieren, daß nicht irgendein Idiot sein Päckchen auf Ihre Schwelle legt.«
    »Na gut. Sehen Sie mein Haus? Ich bewohne von Ihnen aus gesehen die rechte Hälfte. Erdgeschoß und Obergeschoß. Die linke Hälfte hat oben einen alten Dachboden, in dem Stroh lagert. Ich kann auf diesen Dachboden gelangen. Darunter liegt der alte Stall. Sehen Sie die Garagentür? Das ist in Wirklichkeit die Tür zum alten Stall. Auch dorthin kann ich über den Dachboden.«
    »Gut. Wenn es ernst wird, dann gehen Sie dorthin. Durch bis zur Mauer. Ist das klar?«
    Es war sechs Uhr morgens, als er erneut anrief und knapp sagte: »Sie kommen. Sie kommen in zwei Wagen. Drei Männer in einem schwarzen Porsche, vier in einem Ford-Granada-Kombi. Es sind also sieben. Sie werden vermutlich nicht sofort angreifen. Sie werden erst einmal die Lage erkunden.«
    Es ist merkwürdig: Nach zehn Jahren im Dorf glaubst du, alles zu kennen. An so einem Tag stehst du ohne Pause hinter den Gardinen und merkst, daß du nichts kennst. Die Beckers von gegenüber, die Huths von schräg gegenüber, die Lenzens von nebenan – sie alle verbringen einen normalen Tag, gehen ihren Geschäften nach. Du kennst Martha von der Post, die Tag für Tag ihre Runde durch das Dorf läuft, du kennst Christa, die Frau vom Walter, die mit den Kindern den Wochenspiegel austrägt. Du kennst den Milchwagen, der um elf Uhr durchfährt und die Milch aus den Kübeln absaugt. Du kennst die Frau vom Barger, die morgens in ihr Fernseh- und Radiogeschäft fährt und mittags heimkommt, um dem Mann und den Kindern das Essen zu machen. Du kennst Gaby von nebenan, die ihren Polo gutgelaunt schnurrend die Straße hochziehen läßt, weil sie die Schule in Gerolstein hinter sich hat und nun froh ist, in den Tag zu gehen. Alfred rauscht mit seinem 100-PS-CASE vorbei und hebt vorsichtshalber die Hand zum Gruß, obwohl er dich nicht sehen kann. Der alte Leyendecker kommt die Straße in seinem Trecker hoch und hat die Enkelkinder auf den Schutzblechen der Hinterräder hocken – das alles kennst du, das ist nicht neu.
    Aber da gibt es andere Dinge, die plötzlich sehr neu sind. Du fängst an, darüber nachzudenken, ob du bei Westwind hören wirst, wenn jemand versucht, in das Haus einzudringen. Du denkst, du kannst auf dem alten Bullenplatz Rasen säen und eine Bank hinstellen. Du siehst eine alte Frau humpelnd die Straße entlang gehen, fragst dich, wer sie wohl sein mag. Du hast sie tausendmal gesehen, und du hast nie gefragt, wer sie ist. Der Wagen der Eifelbäckerei kommt und läßt seine elektrische Klingel schrillen. Er bringt Brot, das weißt du. Aber hast du jemals beobachtet, wie der Fahrer aufsteht, nach hinten zu dem Verkaufsstand geht, die Arme verschränkt und wartet, ob jemand kommt? Manchmal kommt keiner, was denkt er dann? Verflucht er den Tag? Arbeitet er gegen Festgehalt, gegen Provision? Ist er am Verkauf prozentual beteiligt? Da geht ein Ehepaar in der grellen Sonne die Straße hoch. Du weißt, sie sind aus Düsseldorf, haben sich einen alten Hof ausgebaut. Aber du weißt nicht, welchen Beruf der Mann hat, welchen die Frau.
    »Krümel«, sagte ich, »es ist komisch, aber eigentlich weiß ich nicht viel über meine Heimat.«
    Gegen fünfzehn Uhr rief Kröner erneut an. »Wir haben Schwierigkeiten. Ihre Freundin ist aus der Uniklinik in Ulm entwischt. Wir konnten sie gerade noch abfangen. Wissen Sie, was die vorhatte? Sie stieg in ein Taxi und sagte: Fahren Sie mich in die Eifel! Wir hatten Schwein, daß wir mit so etwas gerechnet hatten.«
    »Seien Sie vorsichtig, das Biest ist raffiniert.«
    Er lachte. »Das ist die richtige Einstellung.«
    Am Spätnachmittag hörte ich, daß Jakob Lenzen, mein Nachbar zur Rechten, an seinem Trecker herumhämmerte, seine Tochter Gaby spielte mit jemandem, den ich nicht kannte, Tischtennis. Die Kinder vom Michael Eichhorn links neben mir schoben ihre Boards die Straße hinauf und rauschten dann glücklich zu Tal. Gegen acht Uhr wurde die Sonne matter, gegen neun Uhr ging sie hinter den Höhen schlafen, gegen elf Uhr rief Kröner an.
    »Sie werden nachts kommen. Wir schätzen gegen zwei, drei Uhr. Sie werden die Rückseite der Wiese nehmen, dann von Osten über den Gartenzaun kommen.
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