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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
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gehalten.
    »Mir ist nach einem Wein«, sagte sie.
    »Kein Alkohol für mich. Kann ich mir einen Kaffee machen?«
    »Na sicher können Sie das. Sagen Sie mir, warum Sie an der Watermann-Geschichte interessiert sind?«
    »Er macht mich wütend.«
    »Er hat Ihnen aber doch nichts getan.« Sie lächelte.
    »Da bin ich nicht sicher. Ich denke, daß ich mich auch schäme. Gibt es kollektive Scham? Na wurscht, wir alle haben die Schweinerei geduldet, nicht wahr? Wir haben nicht nachgefragt und nicht nachgeforscht.«
    »Aber Sie haben ihn nicht gekannt.« Sie drehte einen Korkenzieher in eine Weinflasche und nahm ihn heraus.
    »Nein, habe ich nicht. Wenn Sie ein Baby von ihm hatten, haben Sie ihn gekannt. Also können wir uns ergänzen.«
    Sie nickte nachdenklich, setzte sich auf ein Sofa und zog die Beine unter den Körper. »Sie müssen doch irgendeine Beziehung zu Watermann haben?«
    »Habe ich eigentlich nicht, habe ich eigentlich doch. Mich reizen die Fälle, an denen andere sich die Zähne ausbeißen.«
    »Also so eine Art Konkurrenzkampf?«
    »Ja, das wohl auch. Mir sind zwei oder drei Geschichten gestorben. Und Watermann steht schon seit einer ganzen Weile auf meinem Programm. Was glauben Sie, wo findet man die Lösung?«
    Sie zündete sich eine Zigarette an, rauchte eine Weile und murmelte dann: »Nur im Hotel. In diesem Hotel in Genf.«
    »Aber dort ist niemand, den man fragen kann.«
    »Doch«, sagte sie energisch. »Wo kommen Sie eigentlich her?«
    »Aus der schönsten deutschen Landschaft, aus der Eifel.«
    Sie lachte.
    Ich nahm die Kaffeekanne, eine Tasse und setzte mich ihr gegenüber. »Im Ernst, die Eifel ist einfach schön. Ich habe vor zwei Tagen einen kurzen Spaziergang zum Steinbruch bei mir um die Ecke gemacht. Das ist nicht weit, dreitausend Meter vielleicht. Es geht immer an einem Waldrand entlang. Auf diesen dreitausend Metern flogen folgende Schmetterlinge um mich herum: der Dunkelbläuling, der Schwarze Apollo, der Zitronenfalter, der feurige Perlmutterfalter mit dem schönen lateinischen Namen Fabriciana adippe, das Tagpfauenauge, der Kleine Fuchs sowie der Eichenspinner und das Ochsenauge. Es gab auch noch jede Menge Blutströpfchen, der von gebildeten Leuten Jakobskrautbär genannt wird, und außerdem das sogenannte Damenbrett aus der Familie der Augenfalter. Das ist ein schwarz-weißer Schmetterling, der meistens auf einer knöpf artigen violetten Blume sitzt, die den Namen Witwenblume trägt. Glauben Sie im Ernst, daß ich soviel Schönheit irgendwo anders besichtigen kann?«
    Sie starrte mich an und fragte: »Haben Sie das auswendig gelernt?«
    »Nein, nein, ich war nur etwas besoffen von soviel Schönheit. Wie war das mit Watermann und Ihrem Baby?«
    »Zurück in die brutale Gegenwart, nicht wahr?« Sie lachte spöttisch. »Bloß keine Gefühle – außer bei Schmetterlingen. Tja, wie war das mit mir und Watermann? Ich weiß nicht. Es war überhaupt nichts Besonderes, es war nicht einmal besonders aufregend. Es war eher lau und warm und irgendwie nebenbei.« Sie lächelte irgendwohin. »Gar nicht medienträchtig. Sie haben es gewußt, nicht wahr?«
    Ich nickte. »Ich habe es gewußt. Ein Kollege sagte es mir. Aber das ist auch schon alles. Wollen Sie Ihre Geschichte erzählen?«
    »Was ist, wenn nicht?«
    »Nichts. Dann fange ich an irgendeinem anderen Punkt an.«
    Sie schüttelte leicht den Kopf. »Es ist mir unverständlich, wie jemand sich so in eine Geschichte verbeißen kann. Was treibt Sie eigentlich?«
    »Neugier, nichts als Neugier. Nein, auch Wut. Wie kamen Sie an Watermann heran?«
    »Ganz einfach, mein Vater ist Parteimitglied. Meine Familie hat schon immer im Wahlkampf mitgeholfen. Beim Ministerpräsidenten vor Watermann schon. Das ist so etwas wie eine Tradition. Mein Opa war auch schon Parteimitglied. Ich war Mitglied der Jungen Union vor dem Abitur.«
    »Haben Sie studiert?«
    »Ja. Geschichte und Politik. Examen, Doktorarbeit in Geschichte. Soziale Folgen des Westfälischen Friedens. Du lieber Himmel, das ist eine Ewigkeit her.«
    »Wie kommt Dr. Minna Tenhövel in ein Bistro?«
    »Das ist auch einfach. Um die Zeit, als Watermann in Genf starb, machte der frühere Pächter pleite. Da habe ich ihm den Laden abgekauft. Außerdem habe ich Angst vor dem Establishment.«
    »Der Harlekin gehört also Ihnen?«
    »Bis zum letzten Kaffeefilter.«
    »Macht das Spaß?«
    »Ja, für eine Weile schon. Aber nicht für immer. Wenn sich die Stadt einmal querbeet bei dir besoffen hat, wird
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