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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
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bringen. Ich marschierte stracks zu meinem Jeep zurück, kroch in den Schlafsack und schlief ein.
    Ich wurde wach, weil eine Bande kleiner Kinder neugierig auf diesen komischen Onkel in seinem Jeep starrte. Zwei von ihnen hatten sich die Mühe gemacht, auf die Kühlerhaube zu klettern. Als ich die Augen öffnete, waren sie viel zu verdattert, um zu flüchten. Sie lächelten mich an.
    Ich sagte: »Wenn einer von euch mir eine Kanne Kaffee besorgt, spendiere ich jedem eine Flasche Limo.«
    »Meine Mama hat eine Thermoskanne«, schrie ein Rothaariger mit einer Zahnlücke so breit wie sein fröhlicher Mund.
    »Na denn«, sagte ich und rappelte mich hoch. Ein kleines Mädchen behauptete, sie könne eine Kanne besorgen, die schwarz-weiß und viel größer sei. Sie stoben davon.
    Als sie wiederkamen, hatten sie wirklich eine volle Kaffeekanne dabei, und der Rothaarige sagte knapp und geschäftsmäßig: »Meine Mutter spendiert den Kaffee, und die Limos habe ich ausgelegt. Das macht fünf Mark sechzig.«
    Gegen Mittag fuhr ich weiter, vermied Autobahnen, wollte in Ruhe die Gegend ansehen. Ich mußte locker an die Sache herangehen. Von Dorum aus fuhr ich strikt nach Osten, nach Altendorf und ging auf die Fähre nach Glückstadt, dann Elmshorn, Barmstedt, Kaltenkirchen, Bad Segeberg, Kiel. Ich fuhr am Zentrum Kiel ab und durch bis an den Hafen. Es war immer noch sehr warm. Ich parkte und fragte einen Trupp junger Leute, wo denn der Harlekin sei, »um die Ecke«, antworteten sie.
    Bistros liegen mir, weil dort die geringste Gefahr besteht, von Omas fettigen Mehlsoßen erschlagen zu werden. Dieses Bistro war brechend voll. Ich entdeckte einen leeren Hocker am Ende der Theke, zwängte mich unter vielen Entschuldigungen durch die Menschenmenge und setzte mich.
    Eine junge, dunkelhaarige Frau in einem schwarzen T-Shirt, auf dem grellweiß »Fuck You« stand, starrte mich kurz an und schrie dann: »Bier?« und hielt ein Glas unter den Hahn.
    »Nix Bier«, schrie ich zurück. »Kaffee und etwas zu essen.«
    »Nur Snacks«, brüllte sie.
    »Also eins mit Käse, eins mit Wurst«, schrie ich zurück. Es war richtig kuschelig in dem Laden.
    Der Kaffee kam, aber die Snacks ließen auf sich warten.
    Die junge Frau, die Minna Tenhövel sein mußte, versuchte mir das zu erklären. Sie sagte achselzuckend: »Ich hab mal wieder einen neuen Helfer in der Küche. Der ist zu doof, um den Salat zu finden.«
    »Das macht nichts«, sagte ich großzügig. »Noch breche ich nicht zusammen.«
    Sie sah mich an und entschloß sich zur Wahrheit. »Der in der Küche ist ein Arsch«, sagte sie muffig.
    Sie war klein, so um einen Meter sechzig, knabenhaft schlank, gut gebaut, eingezwängt in blaßblau schillernde Leggins, die einem Kleinkind alle Ehre gemacht hätten. Sie war schwarzhaarig.
    Irgendwann kamen die Snacks, die so aussahen wie ein Haufen frisch angemalter Pappmaches. Aber sie schmeckten.
    Ich war von Leuten eingekreist, die über irgendwelche wichtigen Kieler Ereignisse sprachen, von denen ich nichts wußte und auch nichts wissen wollte.
    Ich dachte über Watermann nach und fragte mich erneut, was ich eigentlich in Kiel wollte. Gewiß, er war hier Ministerpräsident gewesen, er hatte hier als Anwalt gearbeitet. Hier hatte er seine Reden geschwungen und sein Ehrenwort verkündet. Aber war es nicht besser, dorthin zu gehen, wo er gestorben war, nach Genf? War es nicht klüger, in Bonn nachzuforschen, wo es bestimmte Leute gab, die Geheimnisse mit ihm geteilt hatten?
    Im Grunde war es gleichgültig, wo ich anfing, denn niemand kannte die losen Fäden, niemand würde mir sagen, wo sie zu finden waren. Also, warum nicht Kiel? Warum nicht Minna Tenhövel?
    Ich trank den vierten Kaffee, als das Etablissement sich langsam leerte. Mittlerweile war die Dunkelheit gekommen, eine sanftblaue, nicht ernstzunehmende Finsternis mit einem ausgesprochen warmen Wind. Ich war müde. Ich würde mit dem Jeep auf irgendeine kleine Landstraße gehen, vielleicht einen schönen Waldrand entdecken. Ich hatte Peter de Rosas »Gottes Erste Diener« mitgenommen und freute mich darauf, die reichlich zynischen Geschichten aus dem Vatikan zu lesen.
    »Sind Sie an der Uni?« fragte Minna Tenhövel.
    »Nein. Ich habe nichts mit Kiel zu tun, ich bin zu Besuch.«
    »Aha.« Anscheinend wartete sie darauf, daß ich mich näher erklärte.
    Links saß ein dürrer junger Mensch mit einem finsteren Gesicht, dunklen, wilden Augen. Er mochte dreißig Jahre alt sein, und er funkelte mich
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