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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf
Autoren: Jacques Berndorf
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er in der Badewanne lag und tot war, mußte irgend etwas ihn nach Genf gelockt haben.
    Aber was?
    In Bremen bog ich auf die E 71 nach Cuxhaven ab und verließ die Autobahn in Neuenwalde. Ich fuhr westwärts nach Dorum, von dort nach Dorumer Neufeld. Der Tag ging klar und warm zur Neige, ich hockte auf dem Deich und starrte hinaus auf das Meer. Es war sehr friedlich, und neben mir klammerte sich ein kleiner Bläuling an einen langen Grashalm und ließ sich vom Wind wiegen.
    Linker Hand war ein Campingplatz, und irgend jemand schrie, beim alten Hannes gebe es frische Fritten. Jemand anderer brüllte zurück, er würde lieber seine Socken fressen als Fritten von Hannes. Es war eine friedliche Welt, und irgendwann legte ich die Rücksitze im Jeep um, breitete meinen Schlafsack aus und kroch hinein. Ich schlief nicht, ich versuchte mit Watermann zu sprechen. Aber er war nichts als tot und produzierte unentwegt leere, farbige Sprechblasen.
    Um vier stand ich auf, vom Meer her kam ein gläserner Glanz, es war leicht dunstig, der Wetterbericht sagte, es werde sommerlich warm. Ich kroch aus dem Jeep und machte ein paar Schritte jenseits des Deiches in eine Wiese hinein, um die ein Elektrozaun gezogen war. Eine Pferdemami, die so aussah wie ein Haflinger, zog mit einem frischen, langbeinigen, gutgelaunten Baby ihre Bahn. Das Fohlen versuchte so etwas Ähnliches wie einen Galopp und knallte dabei mit einem erstaunten Schrei gegen Mamis warmen Bauch, besann sich und suchte nervös nach Mamis Zitzen, dann war es still.
    Hinter einem Weidengebüsch hatte jemand ein kleines Zelt aufgebaut. Daneben lehnten an einem Zaunpfahl gekettet zwei Fahrräder. Auf das helle Tuch des Zeltes hatte jemand mit Talent den Spruch gesprüht: »Wenn Gott lebt, ist das sein Problem.«
    Darunter stand in einer ungelenken Kinderschrift »Unsere selbstgemachte Vierfruchtmarmelade ist der absolute Hammer!«
    Über einem Zweig der Weide hingen zwei Handtücher, ein winziger Bikini, eine Badehose, ein Küchenhandtuch. Glück im nordischen Winkel.
    Ich würde es bei Watermann mit einer kaum glaublichen Menge an hochfeinen Adressen zu tun haben, und ich fragte mich, ob diese Leute gewillt waren, mit einem Journalisten zu sprechen, der aus einem Eifel-Bauernhof kam und so knickerig war, daß er in seinem Jeep schlief. Wahrscheinlich würden sie mich mit einem gequälten »Igittigitt« vom Acker weisen oder, noch schlimmer, mir eine ausgediente Krawatte schenken und den nächsten Dorffriseur empfehlen.
    Watermann hatte viele Jahre beharrlich daran gearbeitet, um in diese Kreise zu kommen. Er hatte sogar eine Frau aus hochnoblen Kreisen heiraten dürfen, war sicherlich jahrelang als der kleine Gutbürgerliche gelaufen, der Talent hat, auf seine Chance lauert. Watermann, der sich einschleimt, wie die Jugendlichen heute sagen.
    Wahrscheinlich war es besser, zunächst herauszufinden, an wen ich mich nicht wenden durfte, um nicht den Frust einer arroganten Abfuhr zu riskieren oder um ausgelutschte Quellen zu neuer sinnloser Erzähllust zu verführen. Gibt es jemanden, der fünf Jahre lang geschwiegen hat und jetzt endlich zu reden bereit ist? Ich dachte matt, daß dafür nur jemand in Frage komme, der hochdepressiv sein mußte.
    Warum kümmerte ich mich eigentlich um die Hinterlassenschaft einer so gefährlichen Leiche? Nehmen wir an: Watermann stirbt. Die, die wissen, wie es geschah, können wieder beruhigt in ihre Löcher verschwinden. Werden sie freiwillig wieder herauskommen? Natürlich nicht.
    Kluge Kriminalisten haben gelegentlich geäußert, daß kein Mord perfekt geplant werden kann. Er wird nur zum perfekten Mord, weil bestimmte Zufälligkeiten dem Täter entgegenkommen. Gab es eine Chance, diese Zufälligkeiten zu entdecken?
    Wie lockt man Ratten, die überhaupt keinen Hunger haben, aus ihren Löchern?
    Ich kletterte wieder auf den Deich und starrte auf das Meer. Nehmen wir an, Watermann ist getötet worden.
    Nehmen wir weiter an, die, die ihn töteten, gehen in aller Ruhe und Beschaulichkeit ihrem gewohnten Gewerbe nach, verdienen Geld, treiben Politik, kaufen und verkaufen Waffen und freuen sich auf die nächste Kur in Ischia. Was würde sie veranlassen, aus der Deckung zu kommen?
    Ganz langsam schien eine Idee in meinem Kopf Gestalt anzunehmen. Aber sie blieb noch vage, weil im gleichen Augenblick Angst entstand. Es war einleuchtend: Wenn es mir gelang, diese Leute aufzuschrecken, dann würden sie mit aller Gewalt versuchen, mich zum Schweigen zu
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