Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise in die Unterwelt

Reise in die Unterwelt

Titel: Reise in die Unterwelt
Autoren: Michael Shea
Vom Netzwerk:
sie, bis sie an den Fuß eines Hügels kamen. »Ich muß jetzt eine kleine Maskierung vornehmen«, erklärte Leemb, »denn hinter diesem Hügel beginnt das Lager der Dämonen. Vom Kamm aus habt ihr einen guten Überblick darüber. Lauft einstweilen schon voraus und wartet dort auf mich.«
    Sie taten es. Unter ihnen lag eine gewaltige, halbmondförmige Metropole am Fuß einer wuchtigen grünen Mauer. Diese Mauer verlief in einem Bogen, der jedoch so gewaltig war, daß der Ausschnitt, den die Pilger vom Hügelkamm sahen, sich nahezu gerade bis außerhalb ihrer Sichtweite dehnte.
    Die Höhe der Mauer konnte am ehesten durch die Gebäude des Dämonenlagers geschätzt werden, die gegen sie winzig wirkten, obgleich sie selbst von beeindruckender Größe waren. Diese Bauwerke waren aus dem Glas der Wüste gehauen und geschmolzen und von verschiedensten Formen: riesige zwiebelförmige Häuser, gut dreißig Stockwerke hoch und mit einer Flüssigkeit gefüllt, in der Kreaturen schwammen, die jedoch zu weit entfernt waren, als daß sie zu erkennen gewesen wären. Daneben standen gewaltige offene Glaskelche auf turmhohen Glasstielen, die ganze Siedlungen zu beherbergen schienen. Und scheinbar wahllos verstreut hoben sich Zikkurate in die Höhe, deren Terrassen mit dichtem Pflanzenbewuchs bedeckt waren. Doch es gab auch niedrigere Gebäude, stachligen Iglus ähnlich, die in großer Zahl zwischen den höheren Bauwerken kauerten.
    »Wir kommen nun zum gefährlichsten Teil unserer Reise«, erklärte Leemb, der sich ihnen wieder zugesellt hatte. »Doch habt keine Angst, ich werde mit einem Zauber verhindern, daß ihr euch durch eine auffällige Bewegung oder Bemerkung verdächtig macht. Eure Sinne bleiben jedoch weiterhin wach, und ich werde euch jeweils, wenn wir unbeobachtet sind, alles erklären, was ihr seht.«
    Der Erzengel war in ein Kettenhemd und Handschuhe geschlüpft und hatte sich eine Kapuze ins Gesicht gezogen. In der Faust hielt er eine Peitsche, die er nun schwang. Die vier sprangen auf und rasten den Hang zu dem riesigen Lager hinab, das eigentlich eine Stadt war.
    Am Fuß eines der hohen Zwiebelgebäude, wo ein Trupp Dämonen von einem Offizier gedrillt wurde, hielt Leemb an und salutierte. »Ich habe den Auftrag, diese Batrachs zur Ausbildung in das Aquazideum zu bringen«, meldete er.
    Der Leutnant, ein bärenähnliches Wesen mit kräftigem einäugigem Schädel, musterte die vier. »Sie sehen recht schwächlich für eine Ausbildung als Aquaziden aus.«
    »Das ist ihre Tarnung. Sie sind von ungeheurer Wildheit und äußerst gefährlich.«
    Der Dämon brummte und machte eine Tatzenbewegung. Eine Scheibe sank von oben herab. Leemb verbeugte sich und stieg darauf. Die Pilger stellten fest, daß ihre Körper es ebenfalls taten. Die Scheibe brauste aufwärts und hielt auf der offenen Spitze der dreißigstöckigen Zwiebel an. Ein weiter blauer See glitzerte in ihrem Kristallkrater. Auf der Wasseroberfläche herrschte reger, verschiedenartigster Betrieb. Die Scheibe legte sich schief und warf ihre fünf Passagiere in den See. Während des kurzen Falls spürten die Pilger das Schwinden der Kette um ihren Hals.
    Ganz in der Nähe der Stelle, wo sie ins Wasser tauchten, planschte eine ganze Gruppe nackter Frauen. Sie lachten und winkten den Pilgern zu. Leemb kümmerte sich nicht um sie. Kopf voraus tauchte er in die Tiefe, und die vier folgten ihm ohne eigenen Willen. Unter der Wasseroberfläche sahen sie, daß die nackten Frauen lediglich die Früchte fleischiger Stengel waren, die in der Tiefe zu einem runden, kopflosen Leib zusammenliefen.
    Mit großen Augen sahen die vier Reisenden sich um. Sie brauchten offenbar keine Luft und ermüdeten nicht. Voll Staunen sahen sie eine ganze Kompanie dreiteiliger Hybriden mit mächtigen Haifischschwänzen, mit denen sie sich vorwärts schnellten, dem Rumpf und den Armen von Ringern (jeder führte ein Netz und einen Dreizack bei sich), und den Tentakeln eines Tintenfischs als Kopf. Sie schwammen in dichter Formation und mit völlig gleichmäßigen Bewegungen.
    »Fischer«, erklärte Leembs Stimme im Kopf der Pilger, er sprach direkt zu ihrem Bewußtsein. »Fleischfressende Meerestruppen. Alle hier im Aquazideum sind Menschenfresser.«
    Sie erreichten den Grund der riesigen Urne, die das Wasser enthielt, und fanden sich einer ganzen Gruppe von blauen Grottenmäulern gegenüber, die eine kalte Strömung ausstießen. Eines der Mäuler verursachte einen Sog, in den Leemb mit seinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher