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Reise in die Unterwelt

Reise in die Unterwelt

Titel: Reise in die Unterwelt
Autoren: Michael Shea
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unter ihnen der rotgesichtige Verdulga, wurden, wie schon erwähnt, zerstückelt und die Teile einzeln davongetragen. In wenigen Minuten war die Höhle leer, und der letzte der Menschenfresser verschwand durch die Doppeltür. Aus Angst, sie könnte sich vor ihnen schließen, folgten der Than und sein Lehnsmann ihm auf den Fersen.
    Sie kletterten eine Treppe an mehreren Zwischenebenen vorbei und wanderten durch Hallen und Werkstätten, wo die bleichen Gestalten ihren verschiedenen Arbeiten nachgingen. Es war geradezu gespenstisch, wie sie sich manchmal einen Weg durch sie hindurchbahnten und doch nicht bemerkt wurden. Schließlich folgten sie einem bis obenhin mit Leichenteilen gefüllten Karren und kamen in einen vom Sternenlicht erhellten Garten. Beet reihte sich hier an Beet, aber es waren grausige Früchte, die dort wucherten. Unzählige Arme und Beine und Rümpfe zuckten und gestikulierten in einem gelblichen Untergrund, aber in jedem Beet befand sich nur ein Kopf, der genauso lebendig wie seine vervielfältigten Körperteile war.
    Als der Than und sein Lehensmann hinter einem der Karren durch eine Beetreihe kamen, wandten sich ihnen alle Köpfe zu. Sie zischten und fluchten und verdammten sie. Die Kannibalen hörten zwar die Stimmen, maßen dem jedoch offenbar keine Bedeutung bei.
    »Unmenschliche Seelenverkäufer!« kreischte einer der Köpfe. »Geht ihr jetzt euer Judasgeld kassieren? Wo ist euer hundertfach verfluchter Führer Verdulga?«
    »Verstehen diese Kreaturen unsere Worte?« fragte Cugel nervös.
    »Spielt es eine Rolle, daß sie es nicht tun?« erwiderte ein anderer Kopf haßerfüllt. »Jene, die euch bezahlen, verstehen sie.«
    »Dann dürfen wir offen reden«, sagte der Lehnsmann aufatmend. »Auch wir waren nahe daran, dasselbe Geschick wie ihr zu erleiden. Doch eine Laune Fortunas rettete uns und setzte Verdulga und seinen Knechten ein unrühmliches Ende. Wir suchen nun einen Ausgang aus diesem teuflischen Fort. Könnt ihr uns den Weg erklären?«
    Der Kopf blickte ihn skeptisch an. »Ich weiß nicht, welchen Grund Ihr haben könntet, uns zu belügen, da wir Euch ohnehin nicht schaden können. Trotzdem fällt es mir schwer, Euch zu glauben.«
    »Dort! Seht doch!« warf Mumber Sull ein. Er deutete auf ein neues in der Nähe liegendes Beet, in dem die weißen Wesen gerade einen der Zerstückelten in die gelbe Nährsubstanz einlegten. Der dazugehörende Kopf war der des Banditenanführers. Kaum war er eingesetzt, öffneten sich die Augen, und Verdulga blickte sich um. Er stieß einen gellenden Entsetzensschrei aus, als er sich seiner Lage bewußt wurde.
    Der Kopf, mit dem Cugel gesprochen hatte, lachte schadenfroh und machte seine Genossen in den umliegenden Beeten auf den Schurken aufmerksam. Die allgemeine Freude war groß.
    Verdulga brüllte und spuckte in hohem Bogen.
    Der Nachbarkopf kicherte. »Sei guter Dinge«, rief er ihm höhnisch zu. »Du bist stark und gesund, deine Glieder werden sich schnell vermehren. Wenn du die Zähne zusammenbeißt, läßt sich das Ernten ertragen.« Dann drehte er sich Mumber Sull zu. »Noch eine wohlgemeinte Warnung. Mit wem immer Verdulga auch in jenem Gebäude dort verhandelte, er muß über menschliche Sinne verfügen.«
    Der Than wollte sich noch länger mit seinem neuen geköpften Freund unterhalten, denn dessen Zustand hatte seine Neugier wachgerufen, aber Cugel bestand darauf, daß sie sich beeilen müßten.
    Die Köpfe, an denen sie vorbeikamen, wünschten ihnen alle viel Glück. Sie traten durch eine unverschlossene Tür in das angedeutete Haus und schlichen ungestört durch ein Labyrinth von Korridoren, bis sie endlich vor einer Flügeltür ankamen.
    »Gewiß ist das der Ausgang!« rief Sull erleichtert. Ehe Cugel ihn zur Vorsicht mahnen konnte, hatte er sie schon aufgerissen. Eine sanfte, durchaus nicht überrascht klingende Stimme, ertönte aus dem Innern. »Nur herein. Ihr kommt spät. Weshalb nahmt ihr nicht den üblichen Weg?«
    Die Hand am Schwertgriff schritten der Than und der Lehnsmann vorwärts. Sie befanden sich in einem kostbar getäfelten Speisesaal. Gedämpftes Licht aus hauchdünnen Onyxlüstern gestattete einen Blick auf die Dinierenden, die an einer langen, reichgedeckten Tafel saßen. Sie waren von geradezu skelettartigem Äußeren. Pergamentdünne Haut spannte sich über eckige Knochen, wo immer diese aus den prunkvollen Gewändern und unter den wuchtigen Frisuren hervorragten. Jener, dessen Stimme sie vernommen hatten, erhob sich bei
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