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Reise in die Unterwelt

Reise in die Unterwelt

Titel: Reise in die Unterwelt
Autoren: Michael Shea
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sehr es an Euch zehrt, daß Ihr mir Eure Dankbarkeit nicht mit Kleinodien beweisen könnt. Aber vielleicht könntet Ihr mir ein kräftiges Reittier zur Verfügung stellen und Proviant, mit dem ich bis zur Großen Nord-Süd-Straße komme.«
    »Ich wollte, ich könnte es, aber ich besitze nichts Derartiges. Von welcher Straße sprecht Ihr?«
    »Jene, die sich mit dem Weg kreuzt, den unsere Karawane eingeschlagen hat.«
    »Aber eine solche Straße gibt es gar nicht! Ich müßte es wissen, denn ich kenne jeden Weg und Steg in diesen Bergen!«
    »Dann bin ich wahrhaftig verraten und verkauft!« stieß Cugel hervor und lief überlegend in dem kleinen Raum auf und ab.
    Der Beinschnitzer schien erfreut. »So kann ich meine Schuld doch begleichen, denn ich sehe, daß man Euch in die Irre geführt hat und Ihr Euch hier nicht auskennt. Schlimmeres gibt es in diesen Bergen nicht, wo überall Gefahren drohen. Indem ich Euch also über Eure Lage aufkläre, erweise ich Euch einen Dienst, der nicht geringer einzuschätzen ist als jener, den Ihr mir erwiesen habt.«
    Cugel war zwar nicht seiner Meinung, aber da er durch den Dürren keine anderen Vorteile erringen konnte, bat er ihn um eine Beschreibung der Gegend.
    Der Beinschnitzer hielt mit seiner Aufklärung nicht zurück und meinte schließlich, daß möglicherweise von der Wüste aus, die hinter den Bergen begann, ein Weg in den Süden führte – vorher allerdings ganz sicher nicht. Um jedoch in die Wüste zu gelangen, mußte erst eine Schlucht überquert werden, die Yawrns Kluft hieß. Es gab eine Brücke darüber, doch mußte jeder, der sie überqueren wollte, eine Maut unbekannter Natur bezahlen.
    »Was immer auch diese Maut sein mag«, schloß der Beinschnitzer, »die Wahrscheinlichkeit ist gering, daß Ihr die Schlucht überhaupt erreicht. Um dort hinzukommen, müßt Ihr erst an dem Kannibalenfort vorbei. Das wird Euch vermutlich das Leben kosten, denn die Menschenfresser werden in letzter Zeit immer aktiver. Ich verstehe nicht, was Eure Karawane dort überhaupt will.«
    »Die meisten ihrer Angehörigen auch nicht, obgleich sie es sich einbilden«, brummte Cugel. »Aber das geht mich nichts an. Ihr habt übersehen, daß ich gar nicht an dem Fort vorbei muß. Ich werde nach Grag zurückkehren, wo es zweifellos eine Straße in den Süden gibt, was eine bestimmte Person abstritt, die ich mir noch vorknüpfen werde, ehe ich aufbreche.«
    Der Beinschnitzer schüttelte den Kopf. »Es gibt allerdings von Grag eine Straße – eine erstaunlich sichere sogar –, aber wie ich schon erwähnte, befinden sich die Raubtiere auf ihrer alljährlichen Wanderschaft in der Gegend. Eine Karawane von der Größe der Euren und ausreichend bewaffnet, könnte es vielleicht die Hälfte der Strecke nach Grag zurück schaffen, ehe auch der letzte den Bestien zum Opfer fällt. Doch ein Mann allein würde keine Stunde überleben.«
    In diesem Augenblick drehte der Beinschnitzer, der während seiner Ausführungen die Lederkappe abgenommen hatte, sich so, daß Cugel eine dünne Kupferscheibe sah, die der andere in seinem Haar befestigt hatte.
    »Was ist der Zweck dieses Metalldings auf Eurem Kopf?« fragte Cugel.
    Der Beinschnitzer löste und betrachtete es. »Das meint Ihr? Es schützt den Träger vor den Kannibalen. Ihre auf Menschenfleisch ansprechenden Sinne werden durch dieses Kupferstück abgelenkt, das heißt, sie nehmen den Träger überhaupt nicht wahr. Diese Schilde sind die Erfindung eines menschenfreundlichen Zauberers. Sie waren früher weit verbreitet, doch jetzt gibt es sie kaum noch.«
    »Ihr könnt mir Eure Dankbarkeit beweisen, indem Ihr mir Eures abtretet«, meinte Cugel.
    Entsetzt wehrte der andere ab. Es würde sein Leben kosten, das Cugel ihm gerade erst gerettet hatte, erklärte er, und ließ sich auch nicht überreden.
    Cugel überlegte. Der andere war trotz seiner Hagerkeit muskulös und stärker als er, und offenbar ein guter Schwertkämpfer, wie seine Abwehr der beiden Erbs bewiesen hatte. Gewaltanwendung würde ihm demnach nichts einbringen, außer möglicherweise den Tod.
    »Eure Undankbarkeit betrübt mich«, sagte er schließlich. »Doch vielleicht könnt Ihr mir wenigstens mit einem Mittel aushelfen, das ausreicht, vierzig Mann in Schlaf zu versetzen?«
    »Es soll mir ein Vergnügen sein«, versicherte ihm der Beinschnitzer.
    Mit einer größeren Menge Pulver kehrte Cugel ins Lager zurück, wo alle eben ihr frugales Frühstück einnahmen. Seine Abwesenheit war nicht
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