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Rein Wie Der Tod

Rein Wie Der Tod

Titel: Rein Wie Der Tod
Autoren: Kjell Ola Dahl
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hatte er gehört, dass Karl Anders Ingenieur geworden war. Vor ungefähr einem Jahr hatten sie sich einmal zufällig getroffen. Karl Anders, mit Neonweste und Helm, inspizierte Rohre, die unter dem Stadtzentrum von Oslo verlegt werden sollten.
    Frølich hatte einen Spruch darüber abgelassen, dass er seinen alten Kumpel nun unter der Erde statt in der Luft anträfe. Sie hatten den alten Ton wiedergefunden, ein paar Minuten gewitzelt und sich an alte Zeiten erinnert. Schließlich hatten sie Telefonnummern ausgetauscht und festgestellt, dass sie verdammt noch mal irgendwann wieder ein Bier zusammen trinken müssten.
    Keiner von ihnen hatte damit Ernst gemacht und angerufen. Immer, wenn seine Gedanken zufällig zu Karl Anders wanderten, hatte Frølich gedacht, dass es ihnen beiden offenbar ähnlich ging.
    Doch vor vier Wochen hatte er eine Einladung im Briefkasten gefunden.
    Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Es wächst Gras über die Dinge, sie verwittern und verschwinden nach und nach. Das Unbehagen, das er jetzt empfand, beruhte eher darauf, schon zu lange Single zu sein. Es fühlte sich merkwürdig an, bei so einer Feier allein zu erscheinen, wenn man mit Begleitung eingeladen war. Die Einladung war auf edlem Papier gedruckt, und es wurde sogar auf die angemessene Kleidung aufmerksam gemacht. Die meisten Gäste würden Paare sein, lange verheiratet oder Lebenspartner, und die Gespräche würden sich unweigerlich um die Lebensachsen dieser Menschen drehen. Um die Kinder: was für Witzigkeiten und Goldkörnchen die kleinen Köpfe wieder hervorgebracht hatten. Um die Probleme der Eltern mit den Babysittern, die Unfähigkeit der Erzieherinnen im Kindergarten, unbelehrbare Lehrer und stressige Unterrichtszeiten. Die Paare, die noch keine Kinder hatten, würden sich über ihre hippen Ferienziele und ihre Renovierungsprojekte unterhalten. Die Frauen würden sich munter und mit gespieltem Erstaunen über die guten und schlechten Gewohnheiten ihres Partners auslassen, sein Schnarchen oder sein manisches Interesse fürs Lachse-Angeln, Elchjagd oder Fußball, auf eine Weise, dass Frank Frølich - als alleinstehender Mann - nicht die Voraussetzungen dafür hätte, etwas zum Gespräch beizutragen. Andererseits war es auch immer spannend, alte Bekannte wieder zu treffen. Nach ein paar Gläsern schwelgten die meisten gern in Erinnerungen.
    Er hatte die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Entweder einer alten Freundschaft einen Abend opfern oder seine eigene Würde opfern. Besser den Abend opfern als seine Ehre, dachte er und holte seinen schwarzgrauen Anzug aus dem Schrank.
    Das Geschenk, über das er sich selbst riesig gefreut hätte, war schon eingepackt: die gesammelten Werke von Genesis mit Peter Gabriel am Mikro. From Genesis to Revelation, Nursery Crime, Trespass, Foxtrot, Selling England by the Pound. Mit The Lamb lies down on Broadway, der Coverversion aller Coverversionen, setzte die Live-LP von 1973 allem noch die Krone auf. Fast acht Stunden meditative Hirnmassage.
    Die Feier fand in einem Lokal in Eiksmarka statt, direkt hinter der Stadtgrenze von Oslo.
    Er gönnte sich ein Taxi vom Hauptbahnhof. Der Taxifahrer war ein irakischer Kurde, der den Weg nach Bærum genauso schlecht kannte, wie er Norwegisch sprach. Das GPS beherrschte er auch nicht. Der Mann wäre unverdrossen nach Drammen oder Hønefoss gefahren, wenn Frølich nicht vom Rücksitz aus Anweisungen gegeben hätte. Es war noch taghell, als sie vor dem Gebäude hielten, wo Fackeln den Weg zum Eingang wiesen. Ein Paar nach dem anderen trat durch die Tür, als er aus dem Taxi stieg.
    Zehn Minuten später stand er mit einem Glas Sekt in der Hand da und suchte nach bekannten Gesichtern, während er mit Menschen, die er noch nie gesehen hatte, Plattitüden austauschte.
    »Karl Anders und ich haben zusammen in Trondheim studiert«, erklärte ein großer jungenhafter Mann mit sinnlichem Mund und nach hinten gekämmtem Haar. »Jetzt sind wir direkte Nachbarn!«
    Ein niedliches junges Mädchen mit schwarzen Korkenzieherlocken erzählte, dass sie mit Karl Anders zusammengearbeitet hatte, bevor er bei der Kommune anfing. Frølich folgte ihrem Blick und entdeckte den alten Freund weiter hinten im Lokal. Karl Anders war wie immer sorgfältig lässig gekleidet: schwarze Jeans und Jackett über einem schwarzen T-Shirt mit einem tiefgründigen Zitat auf der Brust.
    »Da haben wir ja die Hauptperson«, sagte das Mädchen mit den Korkenziehern und lächelte breit, als Karl
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