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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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über einen Pappteller, auf dem die Reste einer Pizza kleben, weicht geschickt dem kleinen Laufradfahrer aus, der in halsbrecherischem Tempo auf ihn zukommt, und braucht dann nur noch den Pflanzkübel zu umrunden.
    Aber das verhindert ein Mann in grüner Uniform, der sich ihm sehr nachdrücklich in den Weg stellt. »Da haben wir ihn ja«, sagt er zu seinem Kollegen, der an seine Seite tritt. »Erst die akute Gefährdung eines Fahrradfahrers, dann die Gefährdung einer betagten Fußgängerin samt Dackel, dann das Befahren einer Einbahnstraße in falscher Richtung und schließlich die Beschädigung zweier Kraftfahrzeuge inklusive widerrechtlichen Entfernens vom Unfallort. Das reicht.« Seine Hand ist schwer und greift kräftig zu, als sie Paul auf die Schulter fällt. »Sie kommen jetzt erst mal mit.«
    »Aber das geht nicht!«
    Paul beschließt, ohne lange zu überlegen, die ganze Verzweiflung nach außen zu kehren, die er normalerweise hinter einem überlegenen Lächeln tief in sich versteckt. »Ich habe eine Verabredung! Die Dame dort hinten …!« Er |139| bemüht sich um eine große Geste, obwohl er kein Mann großer Gesten ist. Aber er hat das Gefühl, nur mit großen Gesten noch etwas retten zu können. »Sie wartet auf mich! Wenn ich nicht zu ihr kann, zerstören Sie mein Glück!«
    Hat er jemals zu einem anderen Menschen von seinem Glück gesprochen? Nein, noch nie hat er derart unverhohlen ausgedrückt, was ihn bewegt. Noch dazu etwas, was ihm erst klar wird, als es aus ihm herausgeplatzt ist. Auch das ist ihm noch nie passiert. Paul ist ein Mensch, der erst denkt und dann redet. Andererseits ist er auch ein Mensch, der weiß, dass Spontaneität eher zu den Menschen vordringt als sorgsam Formuliertes und dass impulsive Reaktionen ehrlicher daherkommen als wohlgesetzte Worte.
    Aber obwohl er sich nicht erinnern kann, schon mal derart impulsiv gewesen zu sein, wird ihm kein Wort geglaubt. Die Hand auf seiner Schulter wird sogar noch schwerer. »Über Ihr Glück können wir auf der Wache reden.« Dass der Polizist grinst, weiß Paul, ohne ihn anzusehen.
    »Sie müssen nur diese Dame fragen!« Er weist aufgeregt zu Sophia, die an einem Tisch des Café Orth sitzt und versunken ein Buch betrachtet, das sie zwischen den Händen bewegt wie etwas, dessen Wert ihr nicht klar ist. Warum blickt sie nicht auf? Warum hilft sie ihm nicht? Sie könnte den Polizisten vielleicht glaubhaft machen, dass es hier um ein Glück geht, das vierzig Jahre auf Erfüllung gewartet hat. Aber Sophia bemerkt nichts von seiner Not, sieht nicht auf und dreht weiterhin das Buch zwischen ihren Händen. »Ich bin mit der Dame verabredet. Lassen Sie |140| mich ihr wenigstens sagen, dass sie nicht länger auf mich warten muss.«
    »Das merkt sie von selbst!«, erklärt der Polizeibeamte ungerührt. »Wir reden jetzt erst mal über den Radfahrer, die alte Frau, ihren Dackel und die beiden demolierten Autos. Ein bisschen viel auf einmal. Seien Sie also einfach froh, wenn wir auf Handschellen verzichten.«

9.
    Die Gewitterstimmung kommt mir gerade recht. Sie entspricht meiner eigenen Stimmung voll und ganz. Die Rückfahrt auf den nassen Autositzen war alles andere als angenehm, die Wut gab mir den Rest. Als ich in Braderup ankam, blitzte und donnerte es in mir, und der große Regen blieb nur deshalb aus, weil ich auf keinen Fall wegen Paul weinen wollte. »So weit kommt das noch!«
    Wenn ich das doch nur Elena erzählen könnte! Aber ihre Vorwürfe will ich mir nicht anhören. Ich habe es auch ohne sie kapiert, muss mich nicht noch fragen lassen: »Wie konntest du dich ins Café Orth setzen und auf ihn warten? Eine Frau wartet nicht auf einen Mann. Niemals!«
    Ich könnte Elena dann zwar fragen, warum sie an diesen alten Zöpfen festhält, was die mit unserer Emanzipation zu tun haben, warum wir den Männern Partnerinnen sein wollen und dann doch nur kokettierende Weibchen sind … Aber was hätte das alles für einen Sinn? Es spielt auch keine Rolle, ob Paul mir die Verletzung heimzahlen will, |141| die ich ihm vor vierzig Jahren zugefügt habe, oder ob er sich kein weiteres Mal fragen lassen wollte, warum er damals Werner im Stich gelassen hat. Entweder das eine oder das andere, vielleicht auch beides zusammen. Was spielt das noch für eine Rolle? Paul hat mich abserviert, so viel steht fest. Damals war ich zu feige, um Paul beizustehen, vierzig Jahre später ist er zu feige, mir zu sagen, was er denkt. Schickt mich einfach ins Café Orth und ist
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