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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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Staunen in seinem Blick, kann aber nicht aufhören, ihn anzustarren. Davidsons Neuerscheinung! Warum war ich dem Gefühl nicht nachgegangen, das mich gleich im ersten Augenblick bewegt hatte? Schon in der Badebuchhandlung wog das Buch schwer, ich hatte Mühe, es zur Hand zu nehmen. Gegen einen inneren Widerstand musste ich ankämpfen. Mir war, als hätte ich nicht das Recht, dieses Buch an mich zu nehmen. Mit einem Mal weiß ich, warum.
    Dass Johnny Gefron nicht versteht, warum ich plötzlich ins Haus haste, ist mir egal. Dass er mir nicht glaubt, das Telefon habe geläutet, ist mir ebenso gleichgültig. Ich muss jetzt dieses Buch in Händen halten. Auf der Stelle!
     
    Paul zieht die Tür so leise ins Schloss, als könnte er damit alles, was er gesagt hat, alles, was gesagt werden musste, rückgängig machen. Aber dieses Gespräch ist notwendig gewesen, so unangenehm es auch war. Paul musste sogar dankbar sein, dass er früh genug aus polizeilichem Gewahrsam entlassen worden war, um diesen Besuch abzustatten.
    Natürlich kann er Tonias Erregung verstehen. Er hatte nicht erwartet, dass sie Verständnis für ihn aufbringen würde. Sie kannte nur die halbe Wahrheit, und in dieser Hälfte war kein Platz für einen sechzehnjährigen Jungen, der so tief gekränkt worden war, dass er das Vertrauen in die größte seiner Fähigkeiten verlor.
    Dennoch hatte Paul den Versuch unternommen, es |148| Tonia zu erklären. »Sophias Gegenwart war schon entmutigend genug. Aber dann auch noch Uschi!«
    »Hast du vergessen, was du Uschi zu verdanken hast?«, fuhr Tonia dazwischen. »Ohne sie wärst du ein Schreiber geblieben, kein Schriftsteller geworden. Erst recht kein erfolgreicher. Wenn Uschi nicht dafür gesorgt hätte …«
    »Ich weiß«, unterbrach Paul. Er hatte es ja oft genug gehört, meistens von Uschi selbst.
    Nachdem sie sich vor vierzig Jahren des Gedichtes angenommen und sich fortan um jede Zeile gesorgt hatte, die er schrieb, war es Schritt für Schritt, Jahr für Jahr aufwärts gegangen mit ihm. Aber seinen Lesern in die Augen sehen, das konnte er auch nach vielen Jahren noch nicht.
    »Uschi hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als einmal neben ihrem berühmten Mann auf einem Titelblatt zu stehen!« Tonia sah so aus, als hätte sie vollstes Verständnis für Uschis Wunsch. »Also darfst du dich nicht wundern, dass sie gestern Abend erschienen ist.«
    »Obwohl sie sich bestenfalls mit ihrem berühmten Ex-Mann hätte brüsten können?«, fragte Paul herausfordernd.
    Dann winkte er ab, um Tonias Antwort nicht hören zu müssen. Sie stand auf Uschis Seite und fand, dass er seiner Frau etwas Wesentliches vorenthalten hatte. Anscheinend glaubte sie, dass er ihr die Affäre mit Raffael Sielmann heimzahlte, indem er erst nach der Scheidung tat, was Uschi sich während der Ehe inständig gewünscht hatte.
    »Du wolltest Uschi diesen kleinen Triumph nicht gönnen«, fing Tonia wieder an. »Obwohl du ihr so viel zu verdanken hast! Und was du mir damit antust, war dir völlig egal!«
    |149| Paul wurde müde. Tonia begriff einfach nicht, konnte es wohl auch nicht begreifen, dass sich mit Sophia und Uschi am vergangenen Abend sein Schicksal wiederholte. Was ihm vierzig Jahre auf den Fersen geblieben war, hatte sich ihm erneut in den Weg gestellt. Alles wäre wieder so wie damals gewesen, wenn er die Bühne betreten und gelesen hätte. Sogar Werner wäre dabei gewesen! In der Gestalt seines Halbbruders Raffael Sielmann.
    Doch Tonia ließ ihn nicht erklären, was es mit Werner auf sich hatte. Sie blies sich die Haarsträhne aus dem Gesicht und setzte die Litanei ihrer Vorwürfe fort. Und am Ende war Paul froh, dass er nicht über seine Rechtfertigungen hinausgekommen war. Vermutlich hätte er es gar nicht fertiggebracht, über seine Schuld zu reden. Erst recht nicht über die wahre Schuld, die niemand kannte. Seine tiefe Scham! Nach vierzig Jahren war es leichter, von der Schuld zu reden, die ihm vorgeworfen worden war, als von der Schuld, die aus etwas so Unwürdigem wie einer Erektion zur falschen Zeit entstanden war.
    Paul bleibt ein paar Augenblicke auf der Fußmatte stehen, starrt auf seine Füße, stellt sie so, dass eine Fuge exakt zwischen ihnen verläuft, dann geht er langsam, indem er sorgfältig seine Füße in die Mitte jeder Wegplatte setzt, zur Straße zurück. Seinen Autoschlüssel nimmt er mal in die Rechte, mal in die Linke und wechselt die Hände gewissenhaft nach jedem zweiten Schritt.
    Auf der Eingangsstufe des
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