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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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er mit dir über den Unfall reden?«
    Paul sah Sophia lange an, bevor er antwortete: »Nein, er wollte Rache.«
     
    Die Kellner schließen nun sämtliche Sonnenschirme, unter denen keine Gäste mehr sitzen. Mir wird ein ärgerlicher Blick zugeworfen, weil ich noch immer keine Anstalten mache, zu zahlen und zu gehen. Die Kellner haben ja recht. Der Wind wird allmählich ungemütlich. Er greift unter die Sonnenschirme, als wollte er sie anheben, und irgendwann wird er es tun, wenn das so weitergeht.
    »Wollen Sie nicht lieber drinnen Platz nehmen?«, fragt mich einer der Kellner.
    Doch ich gebe noch nicht auf. »Später! Ich warte auf einen Bekannten. Wir sind hier draußen verabredet. Vielleicht findet er mich nicht, wenn ich reingehe.«
    Der Kellner schaut mich an, als hätte er Mitleid mit mir. |136| Glaubt der etwa, ich warte vergeblich auf meinen Liebsten? Anscheinend glaubt er sogar, dass sich eine Frau in meinem Alter nicht wundern darf, wenn sie versetzt wird. Dem könnte ich einiges erzählen. Aber wozu? Der junge Kerl ist noch keine dreißig. In dem Alter ahnt man nicht, was alles möglich ist jenseits der Fünfzig. Elena würde es ihm wahrscheinlich erklären können, ihr würde er glauben. Wenn ich es versuche, würde es sich so anhören, als wollte ich mich entschuldigen.
    Fünf Minuten gebe ich Paul noch. Wenn er dann nicht erschienen ist, fahre ich nach Hause. Nein, ich werde nicht im Café auf ihn warten, Elena würde das auch nicht tun. Auf das Erscheinen eines Mannes hoffen? So tief bin ich noch nicht gesunken. Auch nicht mit Mitte fünfzig. Kann es wirklich sein, dass Paul mich versetzt hat?
    Darüber will ich jetzt nicht nachdenken. Und die Blicke der Kellner bin ich nun auch leid. Wozu habe ich das neueste Buch von David Davidson eingesteckt? Ich bin eine Frau, die über eine spannende Lektüre das heraufziehende Gewitter nicht bemerkt hat. Nur deshalb sitze ich noch hier, obwohl alle anderen sich längst auf die Flucht vor dem Regen begeben haben, der nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Mitleid brauche ich nicht! Und Paul soll sich bloß nicht einbilden, dass ich auf ihn warte. Ich sitze hier nur, weil ich in ein interessantes Buch vertieft bin.
    Eigentlich hat Raffael Sielmann es ja gar nicht verdient, dass man dieses Buch liest, für das er auf so unfaire Weise Werbung gemacht hat. Nach der geplatzten Lesung hätte ich es mir nicht mehr gekauft. Ehrenwort! Aber so …
    |137| Als das Buch vor mir auf dem Tisch liegt, ist wieder dieses Gefühl da. Das gleiche Empfinden, das mich so unerwartet traf, als ich das Buch zum ersten Mal in der Badebuchhandlung sah. Elena konnte sich auch nicht erklären, warum ich diese Hemmung verspürte, als ich das Buch kaufte. Es ist dasselbe Gefühl, das mich nun hindert, das Buch aufzuschlagen. Erneut wird etwas tief in mir berührt. Durch das Bild? Durch den Titel?
    Ich komme nicht dazu, darüber nachzudenken. Der Regen setzt ein. Dicke, schwere Tropfen fallen vor mir auf den Tisch, auf das Buch, sie treffen die Entscheidung. Keine Minute länger werde ich auf Paul warten. Was bildet der sich eigentlich ein? Bestellt mich ins Café Orth und lässt mich hier dann buchstäblich im Regen sitzen! Genauso hat er damals Werner im Stich gelassen. Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen, dass er mich deswegen nach Westerland schickt? Um der peinlichen Situation am Nacktstrand zu entkommen! Um sich meine Fragen nicht anhören zu müssen. Um mir nicht nach vierzig Jahren erklären zu müssen, was damals mit ihm los war. Oder wollte er Rache? Wollte er mich zurückweisen, so wie ich ihn mit meinem Kichern zurückgewiesen habe, als er mir das Gedicht vorlesen wollte? Wie auch immer — ich werde jetzt jedenfalls schleunigst nach Hause fahren und keinen Gedanken mehr an Paul verschwenden. Habe ich das Cabrio überhaupt geschlossen? Himmel, nein! Gut, dass es Georg niemals zu Ohren kommen wird, dass ich in einer Pfütze sitzen werde, wenn ich nach Braderup zurückfahre. |138| Auf den letzten Metern spürt Paul, dass er sich von der Symmetrie lösen wird. Sophias Name besteht mittlerweile aus drei gleichgroßen Schritten, die erste Silbe liegt mal auf dem rechten, mal auf dem linken Fuß. Als er sie sitzen sieht, so ganz allein unter dem letzten aufgespannten Schirm des Café Orth, kommt er ohne Symmetrie aus. Er überholt mit ein paar schnellen Schritten ein älteres Paar, das über die Frage, wann das Gewitter losbrechen wird, ins Trödeln geraten ist, springt
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