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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel
Autoren: G Pauly
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erfahren, auch diesen beiden Kfz-Besitzern wäre nie zu Ohren gekommen, warum Paul auf Sylt ist. Aber so? Er muss es verschweigen. Und er muss zu Sophia.
    Ein großer Schritt, zwei kleine, der große Schritt abwechselnd rechts und links. Unter dieser Symmetrie wird er ruhiger. Und er flüstert in dem verlässlichen Rhythmus, in dem er läuft: »So-phiii-a! So-phiii-a!«
    Der Rhythmus tut ihm gut, er kommt schnell voran. Nachdem er gestolpert ist und beinahe gestürzt wäre, summt es zwar in seinem Kopf »Sooo-phi-a! Sooo-phi-a!«, aber das macht nichts. Zwei kleine Schritte, ein großer, dabei bleibt es.
    Warum war Sophia plötzlich ins Wasser gelaufen? Lief sie vor ihm davon? Paul ließ sich durch diese Frage nicht verunsichern |133| und rannte ihr hinterher. Sein Herz setzte aus, aber er machte es wie Sophia, verzichtete darauf, sich abzukühlen, und warf sich einfach hinein. Sie kicherte nicht, nein, sie lachte. Ihr schien der Kälteschock nichts auszumachen. Und Paul lachte zurück und ließ sich nicht anmerken, dass er Mühe mit seiner Atmung hatte.
    Nein, sie war nicht vor ihm geflohen, sonst wäre sie hinausgeschwommen. Sie duckte sich ins Wasser, als es tief genug war, bewegte die Arme, zog die Beine an und streckte sie wieder. Paul machte es genauso.
    Es war ein wundervoller Moment, ein Augenblick von großer Intimität, als sie von ihren Körpern befreit waren. Wie Mann und Frau, die gemeinsam aufwachen, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, und sich auf einen freien Tag freuen. Obwohl in ihrer Nähe kurz darauf geplanscht und gespritzt wurde, blieb die Intimität des Augenblicks erhalten. Nur ihre beiden Gesichter, körperlos, verlassen von den großen Gesten, herabgesetzt und begrenzt auf das, was in diesem Augenblick das Wesentliche war.
    Paul konnte sich an Sophias Gesicht nicht sattsehen, an den Spuren, die die vergangenen vierzig Jahre hinterlassen hatten, genauso wie an dem, was noch mit seiner Erinnerung übereinstimmte. Er freute sich an jedem Detail, was geblieben war, und ebenso über alles, was sich verändert hatte. Als ihre Füße sich kurz berührten, hätte er schreien können vor Glück. Und als nach den ersten verlegenen Fragen ihr Gespräch in Fluss kam, war er so zufrieden wie schon lange nicht mehr.
    An dem Tag, an dem er sich entschlossen hatte, nach Sylt |134| zu fahren, ausgerechnet nach Sylt, war er auch zufrieden gewesen. Aber dieses Gefühl hatte kein Glück enthalten. Der allumfassende Friede des Glücks lässt sich wohl nicht herstellen, man muss darauf warten, dass er einem geschenkt wird. Bisher hatte Paul dieses Geschenk nie angenommen, obwohl er plötzlich ganz sicher war, dass es ihm längst angeboten worden war. Nun aber war er entschlossen, es festzuhalten.
    Sophias Augen strahlten, als sie ihm von dem Treffen mit Uschi erzählte, und sie wurden riesengroß vor Staunen, als sie hörte, dass Paul mit Uschi verheiratet gewesen war. Dann erzählte sie von ihrer eigenen Ehe und ihrer Scheidung und von Elena, deren Ehen und Scheidungen. Und gemeinsam überlegten sie, was aus Bärbel und Rolf geworden sein mochte. Werners Namen sprachen sie nicht aus, sein Schicksal und seinen Tod umgingen sie sorgfältig. Selbst Raffael Sielmann erwähnte Sophia so beiläufig, dass Paul sofort Bescheid wusste: Sie hatte erfahren, dass Raffael Werners Halbbruder war.
    Und sie wusste sogar noch mehr als Paul. »Raffael Sielmann ist David Davidson! Ganz sicher!«
    Sie brauchte zwei Hände, um alle Indizien aufzuzählen, die für ihre Behauptung sprachen, und Paul starrte, während sie redete, fasziniert auf ihre sorgfältig manikürten Nägel. »Er hat alle reingelegt. Es war ihm völlig egal, was es für die anderen bedeutete, dass er einfach sitzen blieb und sich weigerte, auf die Bühne zu gehen. Tonia Gefrons Ruf in der Branche ist zum Teufel, und der Buchhändler hat wahrscheinlich bis heute nicht begriffen, wie ihm geschehen ist. So ein Mistkerl! Gibt erst eine Zusage und ist dann |135| zu feige!« Lachend wiederholte sie: »Mistkerl!« Dann wurde sie wieder ernst. »Uschi schien ihn gut zu kennen. Arbeitet sie in der Verlagsbranche?«
    »Gewissermaßen«, gab Paul zurück. »Sie kennt sich jedenfalls gut aus.«
    »Und du?«
    »Ich kenne Sielmann auch ganz gut. Schon seit Jahren. Ich glaube, er hat damals die Bekanntschaft mit mir gesucht. Das wurde mir klar, als ich erfuhr, dass er Werners Halbbruder ist.«
    Sophia gab ihre Schwimmbewegungen auf und ließ ihre Beine zu Boden sinken. »Wollte
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