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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot
Autoren: dtv
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war noch vor ihrer Hochzeit gewesen, ja, noch bevor sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. »Für FJ, in Liebe«. Nicht, dass sie zunächst wirklich miteinander geschlafen hätten: Auf dem Sofa im Wohnzimmer bei ihr zu Hause hatten sie sich befummelt, als ihre Eltern im British-Legion-Club waren und nachdem sie ihren kleinen Bruder mit einer halben Krone in der Tasche ins Kino geschickt hatten. Twopence und Sixpence, das war eine Währung, die bereits so tief in der Geschichte begraben schien wie die römischen Denare.
    Er las noch ein paar Seiten und trank sein Glas aus, erhob sich aus dem Liegestuhl, trat ans Geländer und steckte sich eine Gute-Nacht-Zigarette an. Er war durchs Languedoc gestreift, durch die Provence und hatte am Ende noch einen Abstecher in die Pyrenäen gemacht. Die letzte richtige Nacht seines Urlaubs vor der langen Fahrt zurück nach Cherbourg hatte er in Perpignan verbracht. Während des Abendessens hatte er den Sardana-Tänzern auf dem Platz zugesehen und sich anschließend mit zwei lärmenden deutschen Paaren aus Düsseldorf betrunken, bevor er gegen vier Uhr morgens in sein Hotelzimmer gewankt war. Eine Woche war er jetzt wieder in Crowby und wünschte sich nichts sehnlicher, als ausreichend Nachtschlaf und ein ereignisloses Wochenende, sofern Robert Johnson es denn zuließ.

3
    Sie verließen Crowby und durchquerten Wynarth, Gus und Jenny hinten im Mercedes. Der alte Bob Hicks aus dem Lager der Firma machte den Chauffeur. Sein kurzärmeliges weißes Hemd war frisch gebügelt, die Krawatte ordentlich gebunden. Als Hicks schließlich von der öffentlichen Straße abbog, nahm Gus einen Schluck aus seinem silbernen Flachmann, schenkte Jenny so etwas wie ein Lächeln und tastete kurz mit der Hand nach seiner Einladungskarte. Geoffrey Trayner war ein Großer, was hieß, dass auch er, Gus Mortimer, ein Großer war. Damwild, eine besondere, wissenschaftlich interessante Zucht, graste zu beiden Seiten von Trayners streng privater Zufahrtsstraße. Gus konnte im Moment keine Rennpferde sehen, war aber überzeugt, dass es auch die irgendwo gab.
    Die Straße fiel nach links ab, und Boden Hall kam in Sicht, alt, aber von zeitloser Eleganz. Es gefiel Gus, dass das Haupthaus selbst kaum größer als seines war. Aber die Villa von Gus war neu und letztlich nichts weiter als ein aufgeblasener Vorstadtbungalow, so überdimensioniert wie ein Rieseninsekt aus einem Horrorfilm der 1950er Jahre: Im Prinzip war Gus überrascht, dass noch niemand sein Haus für eine Filiale von Sainsbury’s gehalten hatte, für einen Supermarkt vor den Toren derStadt. Größe, dachte Gus, ist nicht alles. Boden Hall, ja, das war ein wirkliches Anwesen, das hatte, wie sagte man doch?   ... richtig: Das hatte Charisma.
    »Das nenne ich ein Anwesen, Jen.«
    Er tätschelte ihr das Knie, und es schien ihm völlig egal zu sein, ob sie nun antwortete oder überhaupt zuhörte.
    Der Mercedes musste vor dem Parkplatz warten, hinter einem nagelneuen BMW und einem dunkelbraunen Morgan. Gus beschloss, Hicks die Parkerei zu überlassen. Jenny folgte ihm über den Rasen, der grün und dick wie ein Teppich war. Makellos weißes Leinen bedeckte die vielen kleinen Tische, die in akkuraten Reihen vor dem Haus standen. Auf jedem einzelnen prangte ein mehrarmiger Leuchter, und die Kerzen brannten bereits, weniger wegen der hereinbrechenden Dämmerung als zur Abschreckung von Mücken und anderen Insekten. Die Gäste saßen jeweils zu viert zusammen, platziert nach einer komplexen Formel aus Persönlichkeit, Biografie und Geld. Ein reichlich kriecherischer Kellner zeigte ihnen ihre Plätze. Gus und Jenny landeten mit Charlie Walsh und seiner Frau Pamela an einem Tisch. Gus nahm an, dass sie vom Geld her wahrscheinlich gleichauf lagen, war aber leicht verärgert, dass man Walshs Frau, dieses hässliche Ungetüm, als passendes Gegenüber für Jen angesehen hatte. Trotzdem fühlte er sich wie an der Schwelle zum Allerheiligsten. Immerhin saß er nicht mit im Zelt, wo sich die weniger wichtigen Gäste um ein Büfett oder einen Grill scharten. Jedes Mal, wenn er sein Glas an die Lippen hob, war ein Kellner zur Stelle, um es nachzufüllen.
    Walsh erzählte ihnen, dass er gerade aus Tokio zurück sei, wo er ein Geschäft abgeschlossen habe. Leider habe er allein fliegen müssen, da Pamela mit Einrichtungs-und Sonnenbadepflichten in ihrem Ferienhaus in Remoulins beschäftigt gewesen sei. Gus riskierte ein Augenzwinkern. Der Mann war offenbar
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