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Reich und tot

Reich und tot

Titel: Reich und tot
Autoren: dtv
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neues Album zwanzig Jahre brauchen. Die Straße wurde kurviger, und die Bäume schienen dichter belaubt, als er sich Wynarth näherte. Der Chief Constable höchstpersönlich wohnte hier draußen. Nur wer wirklich wohlhabend war und die richtigen Verbindungen hatte, konnte die Preise derHäuser an der Straße nach Wynarth zahlen, die abgeschottet hinter hohen Mauern und Grün lagen. Kerr ging vom Gas. Abends um diese Zeit dauerte die Fahrt kaum zehn Minuten: ›Almost Gothic‹ wurde gerade erst von ›Jack of Speed‹ abgelöst, als er den postkartentauglichen Marktplatz umrundete und seinen Wagen neben dem Kriegerdenkmal parkte.
    Er überquerte den Platz, auf dem sich die warme Luft des englischen Sommerabends noch hielt. Vor »Humphrey’s Wine Bar« und dem »Wynarth Arms« war genauso viel Betrieb wie drinnen. Hauptsächlich junge Leute standen mit ihren Gläsern auf der Straße, schwatzten, lachten und warfen sich Blicke zu. Das Bank House aus dem Jahr 1882 war das neueste Gebäude im Zentrum von Wynarth. Noch bis Mitte der 1990er Jahre war tatsächlich eine Bank darin untergebracht gewesen, heute saß in der einen Hälfte ein Makler, in der anderen befand sich ein Restaurant, das »Viceroy Tandoori«. Die Mauern waren vor nicht allzu langer Zeit mit einem Sandstrahler gereinigt worden, so dass sie wieder in ihrem ursprünglichen Weiß schimmerten. Kerr verschwand in der Gasse links davon und stand eine Minute später auf der Thomas Holt Street.
    Rachels Wohnung lag nicht weit von der »Looking East Gallery« im ersten Stock über einem sogenannten Antiquitätenladen, der, wie noch drei andere in der Straße und ein rundes Dutzend in ganz Wynarth, mit einer unklaren Mischung aus wirklichen Antiquitäten und modischem Ramsch beste Geschäfte machte. Kerr warf einen Blick ins Schaufenster, während er seinen Schlüssel hervorholte. Viktorianische Spitze, geschnitzte Bären aus China, eine Modelleisenbahn, Tukan-Tischlampen von Guinness, Bakelit-Radios mit Macken. Die häuslichenTrümmer des alten Jahrhunderts wurden zum Schmuck des neuen recycelt. Er schloss auf und trat ein. Rachel stand oben an der schmalen Treppe und winkte mit einer gekühlten Flasche mexikanischem Bier.
    »Ich dachte, du hättest vielleicht Durst«, sagte sie zur Begrüßung.
    Sie schliefen praktisch sofort miteinander, ohne lange Vorreden. Später, als er sich nach dem Duschen sorgfältig abtrocknete, sagte er, sie müssten unbedingt reden. Ernsthaft reden. Sie sah ihn an und stieg zurück in ihre weiße GA P-Jeans .
    »Das alles   ... das kann nicht so weitergehen«, sagte sie gespielt dramatisch. Ihre rauchblauen Augen ließen seine Entschlossenheit sofort in sich zusammenfallen.
    Kerr legte sich das Handtuch um den Hals und griff nach seiner Boxershorts und der Hose.
    »Nun, wie soll es denn weitergehen?«, fragte er, unsicher auf einem Bein balancierend, um in die Hose zu kommen. Sie nahm sein Hemd vom Stuhl am Ende des Betts und warf es ihm zu.
    »Wenn ich so weitermachen kann, kannst du es auch, Ian. Ich bin diejenige, die sechs von sieben Nächten allein verbringt, während du Vater-Mutter-Kind spielst.«
    Er zog den Gürtel durch die Schnalle und machte keinerlei Anstalten, sein Hemd aufzufangen, das zerknittert vor seinen Füßen landete.
    »Das ist es nicht, Rayche. Ich sage dir doch . . .«
    Sie kam zu ihm und zog ihn an den Handtuchenden zu sich heran.
    »Du sagst mir, was immer ich deiner Meinung nach hören will«, sagte sie und küsste ihn, und dann: »He, lächle mal wieder. Lass uns den Abend genießen. Wie lange kannst du bleiben?«
     
    Robert Johnson starrte vom dritten Stock des Bewährungsheims runter auf die Mill Street. Das Zimmer war kleiner als das, das er vor seiner Freilassung in dem speziell gesicherten Krankenhaus gehabt hatte. Allerdings war das hier von innen abschließbar. Der Oberficker, oder Heimleiter, wie er sich schöntuerisch nannte, hatte bestimmt einen Generalschlüssel, aber die anderen im Haus würden nicht reinkönnen, wenigstens nicht legal. Natürlich würde er es trotzdem nicht darauf ankommen lassen: Er hatte bereits die Kommode vor die Tür geschoben, und da würde sie bis morgen früh auch bleiben. Ein entschlossenes Überfallkommando ließ sich so nicht abwehren, doch der Lärm würde ihn vorwarnen. Aus reinem Luxus steckte er sich noch eine Marlboro an. Drinnen hatte er nicht geraucht, sondern sich darauf konzentriert, fit zu bleiben. Aber nichts an seinen Plänen sprach in diesem frühen
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