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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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brüllt mich ein Typ an, weil meine Augen nicht feucht genug sind oder mein Schmollmund zuwenig lüstern wirkt. Ich lächle ihn an und befeuchte meine Lippen, während er mit dem Blitzlicht ein paarmal die Decke anblitzt. Ein Mädchen kommt, um mich schnell nach- zuschminken. Sie verjagt die Gedanken an meine Mutter.
    Ich fr age meine Mutter: »Kannst du mir sagen, was du mit deinem Mantel gemacht hast?«
    Dann folgt eine etwas spröde Auseinander- set zung. Nach einer Weile kommen wir auf die wah ren Probleme zu sprechen.
    »Hör mal«, sagt sie zu mir, »was machst du eigentlich hier? Was hat das zu bedeuten? Ich habe dich nicht gebeten zu kommen.«
    »Ich komme, um zu sehen, wie es dir geht. Ich komme, um zu sehen, wie du dich nach deiner Sauftour von gestern abend fühlst.«
    »Warum? Interessiert dich das?«
    Ich bin im Frühling bei ihr ausgezogen. Ich ha be mir ein Zimmer gemietet, fünfhundert Meter von ihrer Wohnung entfernt, aber sie tut, als hätte ich sie auf einem anderen Kontinent allein gelas sen, als hätte ich ihr tiefe Wunden beigebracht. Sie hat nicht die Absicht, mir zu verzeihen. Sie be hauptet, sie sei nicht allein daran schuld gewesen und es sei durchaus möglich zu vergessen, was geschehen ist, und sich von dieser Geschichte nicht verrückt machen zu lassen. Aber das ist eben nicht alles. Ich möchte mein eigenes Leben führen. Wir haben schon früher darüber gesprochen, aber sie will nicht einsehen, daß das ein triftiger Grund ist, sie sieht darin eher ein Zeichen meines riesigen Undanks, sie spricht von Verrat, kann es kaum fassen. »Dein eigenes Leben? Sag das noch mal! Und wenn wir mal ein bißchen über mein Leben sprechen würden, mein eigenes Leben, du kleiner Hosenscheißer? Was habe ich denn mit dir für ein ei genes Leben gehabt? Kannst du mir das mal sa gen?«
    So steht's also mit uns. Ich bin zweiundzwanzig. Meine Mutter besäuft sich und vögelt am lau- fen den Band, nur um mir eins reinzuwürgen. Um mich dafür zu bestrafen, daß ich sie allein gelassen habe. Dabei besuche ich sie regelmäßig, rufe sie jeden Tag an, und sie kann mich jederzeit erreichen, rund um die Uhr, ich stehe mitten in der Nacht auf, um sie weiß der Teufel woher abzuholen, und dan ke noch dem lieben Gott, daß er sie mir unversehrt zurückgibt. Tränenüber- strömt, stinkbesoffen, to tal am Ende, ohne Mantel, zitternd, aber unver sehrt. So steht's also mit uns. Und ehrlich gesagt, sehe ich nicht so recht, wie sich das bessern sollte. Ich habe wenig Hoffnung. Schon der Gedanke al lein verursacht mir Kopfschmerzen.
    Ich folge ihr in die Küche. Während sie Kaffee kocht, räume ich ein bißchen auf, leere die Aschen becher, räume das Geschirr in die Spül- maschine, sehe nach, ob sie noch etwas im Kühlschrank hat. Ich be tr achte ihre Hände und stelle fest, daß sie zittern. Wenn ich nicht da wäre, hätte sie vermut lich schon ein Glas in der Hand, das kann ich mir lebhaft vorstellen. Mit trockenem Weißwein. Und dann verbringt sie den ganzen Tag damit, sich von einem Zimmer ins andere zu schleppen, wobei sie ihren Sohn verflucht.
    Das Wetter ist schön, aber die Bäume sind noch mit Rauhreif überzogen. Ich kündige ihr an, daß wir gleich ihren Mantel holen gehen, we il ich ge nug davon habe. Ich möchte nicht, daß sie sich den Tod holt, und füge hinzu, daß wir das in Zukunft immer so machen werden, selbst wenn wir den ganzen Vormittag damit verlieren, das soll ihr eine Lehre sein. Zur Antwort verzieht sie das Gesicht.
    Dann beißt sie sich auf die Lippen, ru nzelt die Stirn und steigt in mein Auto. Der Himmel ist gleißend hell und wolkenlos. Es weht ein eisiger Wind, der einem die Brust zusammen- kneift wie eine Zange. Es ist Sonntag morgen, die Straßen sind fast menschenleer, die Geschäfte geschlossen, die Atmosphäre ist die einer erschöpften Stadt, die nach einer Woche Zwang- sarbeit von katatonischer Träg heit befallen ist. Ich halte an, um mir eine Zeitung zu kaufen. Als ich zurückkomme, blättert meine Mutter in einer Zeitschrift, die auf dem Rücksitz herumgelegen hat. Sie betrachtet ein Foto, auf dem ich im Slip in leicht aufreizender Haltung und mit ins Gesicht hängendem Haar abgebildet bin.
    Als ich anfahre, seufzt sie: »Es ist doch wirklich zum Heulen.« Ich erwidere nichts. Dabei schäme ich mich nicht für das, was ich tue. Aber ich weiß, was sie darüber denkt. Sie stellt sich vor, ich sei tief in den Schmutz gefallen. Sie mag es nicht, daß ihr Sohn nackt für eine
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