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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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weiß ich, aber das hat noch niemand ge schafft.«
    Ich legte ihr die Hand auf die Schulter. Dann fügte ich hinzu: »Deine Mutter hat nie geweint. Das gehört zu den Dingen, die du wissen wolltest.«
    Nach einer Weile gingen wir hinunter zu den anderen.
    Später warf Dimitri seinem Vater ein Glas an den Kopf und schlug sich in die Büsche. Richard er zählte, daß ihn jemand aus seiner Familie eines Tages mit der Faust bedroht habe und daß mit dieser Generation der Niedergang der Mensch- heit begin ne. Der Diablos nickte, während Olga sein Hemd abtupfte.
    Carole verließ den Tisch mit gereizter Miene.
    Ich beugte mich zu Lili hinüber und sagte ihr, wenn sie bereit sei, eine Bootsfahrt mit mir zu machen, sei das der geeignete Augenblick.
    Sie empfand es nicht als notwendig.
    »Kümmer dich um Carole«, sagte sie zu mir.
    Tatsächlich schien es Carole nicht gutzu- gehen: Sie stand an einen dunklen Baum gelehnt und übergab sich. Ich blickte zu Richard hinüber, der mit Dimitris Vater ins Gespräch vertieft war, während meine Mutter und Olga abräumten.
    Ich beugte mich zu ihr hinab.
    »Jetzt sag mir bloß nicht, ich hätte zuviel getrunken«, meinte sie röchelnd. »Erzähl mir nicht so einen Scheiß.«
    »Dann kommt es wohl von der Sonne«, sagte ich.
    »Nein, das kommt nicht von der Sonne. Garantiert nicht von der Sonne, hörst du?«
    Ich rieb ihr den Rücken.
    »Nur Mut«, murmelte ich. »Nur Mut.«
    Ich begleitete sie zum Badezimmer. Ich wartete im Wohnzimmer auf sie und las die Zeitung. Ich erfuhr, daß eine Trockenperiode auf die Überschwemmungen folgte und daß man uns verbot, das Auto zu waschen. Als ich plötzlich hörte, wie sie einen Schrei ausstieß.
    Sie kam herbeigerannt.
    »Im Badezimmer ist eine Ratte«, ver- kündete sie.
    »Das würde mich wundern«, erwiderte ich. »Geh und sieh selbst. Hinter der Waschmaschi ne.«
    Wir gingen nach draußen, um Schaufeln aus dem Geräteschuppen zu holen.
    »Sie hat rote Augen«, erklärte ich. »Wirklich ein Riesenbiest.«
    »Ich habe gehört, daß es im Moment in allen Häusern davon wimmelt. Eine richtige Plage. Unmöglich, sie auszurotten.«
    »Ich weiß. Sie haben ein dickes Fell. Ich wette, daß sie im Sommer die Stadt verlassen und uns fol gen.«
    »Hör auf, das ist ja furchtbar. Hör bloß auf.« Ich war davon überzeugt. Ich machte mir dar über keine Illusionen.
    Ich fand eine Schaufel und eine Spitzhacke. Carole machte sich die Dunkelheit des Geräteschuppens zunutze, um ein paar stumme Tränen zu vergießen. Sie klammerte sich an meinen Rücken, und wir rührten uns eine Weile nicht. Dann zog sie die Nase hoch.
    »Es ist vorbei. Es geht schon wieder«, meinte sie. Ich lächelte im Dunkeln und hätte fast zu ihr gesagt, daß leider nichts endgültig vorbei ist. Aber ich hielt mich noch rechtzeitig zurück.
    »Nur Mut, meine Liebe«, murmelte ich und rieb ihr die Arme. »Nur Mut, verdammt noch mal. Nur Mut.«
    Die Gartengeräte geschultert kamen wir wieder zurück, wie finstere Totengräber, die in der Dämmerung ihr Werk verrichten.
    Richard und Dimitris Vater saßen in Schaukelstühlen auf der Veranda.
    Wir tauschten unsere Erfahrungen aus, wie man sich die Biester am besten vom Hals schaffte. Dimitris Vater schweifte vom Thema ab und erklärte, daß er nicht vorhabe, sich von seinem eigenen Sohn Vorwürfe machen zu lassen, vor allem, wenn man bedenke, daß Evelyne, diese Schlampe, keine Hemmungen gehabt habe.
    »Er kommt bestimmt wieder«, behauptete ich.
    »Hier gibt's im Umkreis von mehreren Kilometern nur Wälder.«
    Lili stand am Waldrand hinten im Garten und starrte in die Finsternis.
    »Ich habe Sie verehrt wie einen Gott«, erklärte ich ihm. »Mein Traum war, Ihnen zu gleichen.«
    »Was ist los, companero? Duzen wir uns nicht mehr?« Carole zog mich am Ärmel fort.
    »Ich wollte nicht, daß mir dieser Typ in meine Familie kommt«, sagte ich Carole eindringlich ins Ohr, während wir durchs Wohnzimmer gingen. »Ich wollte nichts von ihm wissen. Überhaupt nichts.«
    Richard wickelte sich ein Geschirrtuch um den Arm.
    »Sei nicht lächerlich«, rief Carole ihm zu.
    Draußen, hinter den Buchten, stieß die silbrige Oberfläche des Sees auf eine Wand von dunklen Tannen, die in den Himmel ragten.
    Die Ratte hatte sich hinter der Waschmaschine versteckt. Als ich sie zur Seite rückte, lief das Tier hinter den Wäschetrockner. Alles war ihm recht, um sich zu verstecken. Da es von einem Versteck ins andere rannte, hatte ich das Spiel schnell
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