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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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Anlässen.
    Als ich eines Nachts bei ihr hereinschaute, traf ich sie auf allen vieren mitten im Wohnzimmer an, während sich Olga im Badezimmer übergab.
    Wenn ich richtig verstand, suchte meine Mutter einen Ohrring, der auf den Boden gefallen war, aber ihr Gesicht war tränenüberströmt.
    Und dann begannen endlich die Ferien.
    Carole besaß ein Haus am Ufer eines Sees, und ich mietete schließlich ein Haus daneben, denn sie starb fast vor Angst bei dem Gedanken, allein mit den Männern ihrer Familie zusammen- zusein, und machte die Tatsache geltend, daß sie und ich uns im Laufe des vergangenen Monats so nahegekommen waren, daß ich sie nicht im Stich lassen könne. Das gab ich zu. Wir hatten uns gegenseitig unterstützt. Wir waren gemeinsam in die Dunkelheit gestürmt und jeden Morgen gemeinsam wieder heimgekehrt, nachdem wir uns verausgabt hatten.
    Als ich sie besuchte, um ihr zu sagen, daß wir angekommen waren, fiel sie mir stürmisch um den Hals. Ihr Mann Richard, der hinter ihr stand, tipp te sich an die Stirn und lächelte mir dabei zu.
    »Sorg dafür, daß sie dir nicht zu sehr auf den Wecker fällt«, riet er mir, während sie fortging, um sich einen Badeanzug anzuziehen. »Sie kann einen ganz schön nerven.«
    Viele Jahre zuvor hatten unsere Kinder auf dem schmalen Sandstrand des Sees gespielt, und wir glaubten damals noch, unser Leben beginne erst und halte viele Überraschungen für uns bereit.
    »Danke für den Hinweis«, antwortete ich ihm.
    Damals war dieses Fleckchen nicht einmal auf der Landkarte verzeichnet. Doch dann hatte sich der Wind gedreht, und es war zu einem Treffpunkt für die Schickeria geworden, wo es verboten war, Blumen zu pflücken, und wo die Geschwindigkeit auf zwanzig Stundenkilometer begrenzt, die Zu fahrt zum See reglementiert und mit den Förstern nicht zu spaßen war. Der Zeitungshändler im Ort verkau ft e jetzt die Herald Tribune und verfügte über einen Zigarrenschrank. Keine Baugenehmi gung wurde mehr erteilt. Kein Camper geduldet. Abends trafen sich manche Leute hier, um den Sonnenuntergang zu beklatschen.
    Das erste Wort, das Lili seit Beginn des Tages an mich richtete, betraf den Preis der Tomaten, der schwindelerregende Höhen erreicht hatte.
    Dimitri und meine Mutter waren im Haus geblieben, weil sie mit dem Einrichten noch nicht fer tig waren. Ich ha tt e Lili nicht gebeten mitzukom men, aber zu meiner Freude tauchte sie auf, als ich gerade losfahren wollte. Ich war der Ansicht, daß ein paar Tage am See uns allen guttun würden, zumindest körperlich, damit wir wieder ein bißchen Farbe bekamen und uns von den katastrophalen Monaten erholen konnten, die hinter uns lagen.
    Anschließend wollte sie wissen, ob sie genmanipuliert waren.
    »Wollen wir wieder mit dem Boot rausfahren wie früher?« fr agte ich sie und untersuchte dabei eine Ingwerwurzel, die ich am liebsten in die Luft geworfen hätte.
    Dazu konnte sie jetzt noch nichts sagen. Sie hatte ihr Studienjahr erfolgreich abgeschlossen, und Evelynes Tod lag inzwischen über einen Monat zurück, so daß sie nicht mehr alles so eng sah und mir gegenüber etwas freundlicher auftrat. Sie konnte noch nichts dazu sagen, aber sie sagte nicht nein.
    »Wir sind alle auf der Suche nach einem besse ren Leben«, erklärte ich ihr. »Vergiß das nicht.«
    Wir gingen an den Auslagen entlang. Frauen klimperten mit ihren goldenen Armreifen, während sie Konservendosen und Produkte mit niedrigem Fettgehalt aus den Regalen nahmen.
    Ich fragte sie, ob Dimitri sich etwas aus Fleisch-und Wurstwaren mache.
    »Stell dir mal vor, er findet eines Tages raus, daß du es warst«, brauste sie auf. »Was passiert dann?«
    »Er kann ruhig weitersuchen. D ar auf kommt er nie, mach dir keine Sorgen.«
    »Wie kannst du dir dessen eigentlich so sicher sein? Warum solltest du eine Ausnahme sein? Irgendwann kommt alles ans Licht.«
    Ich ließ sie reden, bis sie alles gesagt hatte, was sie auf dem Herzen hatte. Das war nicht gerade angenehm anzuhören, denn sie war mir gegenüber äußerst kritisch, bisweilen sogar verletzend, aber ich wußte, daß wir da durch- mußten und daß ich mich als der Intelligentere von uns beiden erweisen mußte - was für mich hieß, die Zähne zusammenzubeißen und keinen Ton zu sagen, dabei gab es so viele Dinge, die auch ich ihr hätte vorwerfen kön nen. Während ich ihr zuhörte, mußte ich an all die Fehler denken, die sich beiderseits angehäuft hat ten, an all unsere Mißverständnisse, an all unsere verpatzten
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