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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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interessierte, war Carole, eine alte Freundin, mit der ich eine komplizierte Beziehung unterhielt.
    Sie hatte zwei achtzehnjährige Söhne, für die sie prak ti sch nicht mehr existierte, und einen Mann, der sie vor einer Weile verlassen hatte, dann aber zurückgekehrt war, was allerdings nicht die gewünschte Wirkung erzielt hatte: »Wenn ich ihn ansehe, muß ich gähnen«, seufzte sie, wobei sie einen Ellbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Hand stützte und dabei starr in die Ferne blickte.
    Sie war der Ansicht, man solle nichts von seinen Kindern erwarten, so sei nun mal das Leben, Un dank sei der Welten Lohn.
    »Aber abgesehen davon hättest du diese arme Frau nie vögeln so ll en. Oder du bist verrückt, an ders kann ich mir das nicht erklären.«
    Wir trafen uns oft abends und gingen gemeinsam auf Cocktailpartys, Vernissagen oder Literaturveranstaltungen, auf denen ich ziemlich viel trank und alles aß, was ich in die Finger bekam, um mich über die schwere Zeit hinwegzutrösten, die ich durch machte. Auf einer Party, die Charlotte Blonsky wenige Tage vor dem Einbruch gab, bei dem ihr Bargeld und drei kleine Bilder italienischer Meister des ausgehenden Mittelalters gestohlen wurden, reagierte ich ziemlich ungehalten auf einen jungen Mann, der ein Fan von Dimitri war und mir immer wieder sagte, daß ich nichts davon verstanden habe und daß das völlig normal sei.
    Auf der Straße ließ ich meinen Ärger an seinem Auto aus, obwohl Carole sich bemühte, mich da von abzuhalten – aber sie war genauso betrunken wie ich –, und ich verbrachte den Rest der Nacht auf der Polizeiwache. Als sie meine Taschen durchsuchten, fanden sie eine verbotene Substanz, aber Olga, die Freundin meiner Mutter, Olga, die zahlreiche Freunde bei der Polizei hatte – sie konnte in die Büros der oberen Stockwerke gehen, ohne sich vorher anmelden zu müssen–, Olga zog mich zum Glück aus der Klemme.
    Ich habe mich über die Gesichtsfarbe meiner Tochter ausgelassen, aber nach einem knappen Monat in diesem Stil war ich aschfahl geworden. Jetzt machte sich meine Mutter Sorgen um meine Gesundheit und fand, ich hätte einen Teint wie Pergamentpapier. Wenn ich morgens verkatert und fast stolpernd vor Schlafmangel in die Buchhandlung kam, spürte ich, wie sie mich ratlos ansah, und da bei senkten sich meine Schultern noch ein wenig mehr. Ich hätte mich am liebsten mitten zwischen den Büchern schlafen gelegt, doch ich konnte mich gerade noch beherrschen. In meinem Alter reichten ein paar Stunden Schlaf nicht mehr aus. Das wurde mir plötzlich bewußt.
    »Versetzt dich die Reue in diesen Zustand?« fragte meine Mutter.
    »Was? Was für eine Reue? Wovon sprichst du?«
    Ein paar Jahre zuvor hatte ich der Beziehung, die sie mit einem Mann unterhielt, abrupt ein Ende gesetzt, und ich wußte, daß sie mir deswegen noch immer böse war. Auch wenn sie es bestritt, hatte sie eine Sperrzone zwischen uns errichtet, die eine unüberbrückbare Distanz zwischen uns schuf.
    An manchen Abenden nutzte ich den Augen blick, in dem Carole irgendwo auf einer Toilette ver schwand, um über all die Anstrengungen nachzudenken, die ich in meinem Leben unternommen hatte. Und was hatte ich damit erreicht? Die beiden einzigen Frauen, die wirklich für mich zählten, wi chen von mir, ohne daß ich etwas dagegen tun konn te. Ich fragte mich, was mit mir nicht stimmte. Wenn der Tag schon allmählich dämmerte, sprach ich mit Wildfremden darüber, aber ihre Aufmerksamkeit erlahmte meist schnell, und für mich kam nichts In teressantes dabei heraus.
    »Selbst wenn du mit mir schlafen würdest«, ver traute mir Carole mit schwerer Zunge an, »bin ich mir nicht sicher, daß das irgend etwas ändern wür de.« Von ihr konnte ich mir keinerlei Trost erhof fen. »Wie kann man sich so in die Falle locken lassen? Wie kann man nur so blöd sein?«
    Offensichtlich waren wir nicht die einzigen, die jede Hoffnung auf Erlösung verloren hatten. Man brauchte sich nur umzusehen oder ein paar Worte mit einem Unbekannten zu wechseln, um festzu stellen, wie groß das Leid, das Unverständnis und die Einsamkeit waren. Und dagegen ließ sich nichts tun. Aller Alkohol und alle verbotenen Substanzen dieser Welt halfen da auch nicht weiter.
    Früher, als ich die Diablos noch vergötterte, war meine Mutter eine richtige Säuferin gewesen. Zum Glück hatte sie sich gemäßigt, jetzt kam es nur noch zwei- oder dreimal im Jahr vor, daß ich sie betrunken sah, und nur bei außergewöhnlichen
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