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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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ich mit dem Sänger der Diablos in seinem Wohnzimmer saß, um mit ihm die Abrechnung der Ausgaben zusammenzustellen, die wir für unsere Kinder getätigt hatten, erklärte er, ohne den Blick von seinem Blatt zu heben, in unbeteiligtem Ton: »Ich glaube, meine Frau betrügt mich. Ich glaube, diese Schlampe hat einen Liebha ber, stell dir das mal vor.«
    Ich hätte am liebsten zu ihm gesagt, sieh dich doch mal an, sieh doch nur, was aus dir geworden
    ist, aber solange er Lilis Schwiegervater war, mußte ich vermeiden, gewisse Bande mit Füßen zu tr eten, vor allem jene, die das Leben leichter machen.
    »Das tut mir aber leid«, antwortete ich.
    Evelyne war gerade dabei, den Rasen zu mähen, und ging im Zickzack unter dem blauen Himmel und den blühenden Bäumen durch den Garten. Er betrachtete sie ein paar Sekunden und verzog dabei das Gesicht.
    Er knurrte: »Das ist doch wohl das Letzte.«
    Als sie einen Augenblick später auftauchte, hatte man den Eindruck, als ginge ein Gespenst durchs Wohnzimmer oder als liefe eine Verletzte, die noch unter Schockwirkung stand, nach einem Autounfall am Straßenrand entlang. Das ist kaum übertrieben.
    Die Küchentür schloß sich hinter ihr, und zu rück blieb nur der Geruch nach gemähtem Gras.
    »Es sei denn, daß sie Drogen nimmt«, fügte er hinzu. »Man weiß ja nie. Ich folge ihr nicht auf Schritt und Tritt.«
    Ich hatte Lili geschworen, diese Geschichte sofort zu beenden, aber ich sah Evelyne in der gleichen Woche wieder.
    Es schien ihr tatsächlich nicht allzugut zu gehen: Sie sah abgespannt aus, hatte eine finstere Miene und blickte sich auf der Straße unruhig nach links und rechts um, ehe sie sich mir an den Hals warf, wie sie es noch nie getan hatte, und mit rauher Stimme völlig entfesselt stöhnte.
    Alle in dieser Familie waren auf die eine oder andere Weise total verrückt.
    Als Sexualpartner hatte sich Evelyne als sehr erstaunlich herausgestellt – zumindest für eine Frau, die regelmäßig in die Kirche ging und derartig von der Vorstellung gequält wurde, eine Sünde zu begehen, daß sie die Flammen des Fegefeuers buch stäblich glaubte knistern zu hören. Schon seit lan gem hatte ich nicht mehr solche Lust mit einer Frau empfunden, das muß ich zugeben. Mir gefiel das Verbotene und das Gefährliche an der Sache, ihre Neigung zum Chaos, die auf immer neue Rei ze hoffen ließ. Ich mochte ihre Unterwäsche aus Baumwolle von erschreckender Banalität, ihre entschlossene Haltung beim Geschlechtsakt, ihre Art, sich total hinzugeben, um sicher zu sein, daß sie die Hölle wirklich verdiente. Aus all diesen Gründen hatte ich große Mühe, den Schwur zu halten, zu dem mich Lili gezwungen hatte. Im Grunde brauchte ich etwas Zeit, um darüber nachzudenken. Ich hatte Lust, ausnahmsweise mal ein biß chen an mich zu denken.
    Wir trieben es vor dem Fenster. Evelyne, mit auf die Brüstung gestützten Ellbogen, wobei sie den Kopf nach links und rechts schwenkte, während ich mich hinter ihr abrackerte und die Straße vor Menschen wimmelte.
    »Ich habe einen roten Fleck auf der Stirn«, er klärte sie mir anschließend. »Ich trage das Schandmal des Ehebruchs auf der Stirn.«
    »Tut mir leid, aber ich sehe überhaupt nichts.« »Ich glaube, daß uns alle Leute aus den Büros gegenüber gesehen haben.«
    »Evelyne, niemand hat mit dem Finger auf dich gezeigt.«
    Drei Tage später nahm sie sich das Leben, indem sie den Gashahn aufdrehte.
    Lili sprach einen Monat lang nicht mehr mit mir.
    Bei der Beerdigung ließ sie Dimitris Arm nicht los und schenkte mir keinen Blick. Sie waren bei de leichenblaß, aber ich sagte nichts mehr, denn man hatte mich gebeten, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Mit jedem weiteren Tag entglitt mir Lili ein wenig mehr, und Evelynes Tod machte die Sache nicht besser.
    Ich ging jetzt auf alle Abendveranstaltungen, zu denen ich eingeladen wurde, um zu vermeiden, abends, wenn die Buchhandlung geschlossen war, allein zu bleiben. Meine Mutter behauptete, Lili sei viel mehr zu bedauern als ich, aber mehr wollte sie darüber nicht sagen.
    Die Stadt war in die ersten lauen Lüfte des Sommers gehüllt, und die Leute erwachten, ließen den Blick nach allen Seiten schweifen und hockten bis zum frühen Morgen in den Bars. Die einzige Frau, die mir zu jenem Zeitpunkt ein wenig  Aufme rk- samkeit schenkte, während mein Gefühlsleben ei ner harten Prüfung unterzogen wurde – die einzige Frau, die sich noch ein bißchen für meine Gesellschaft
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