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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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sie mich ins Bett brachte. Manchmal nahmen wir ein Buch mit. Manchmal blieben wir auf dem Bett liegen und starrten an die Decke, und dann fing sie an, über die Zukunft zu phantasieren, über all das Schöne, was wir noch erleben würden, was wir alles tun könnten, und sprach über all die paradiesischen Fleckchen, wo wir uns niederlassen könnten, sobald sich der Wind drehte, woran sie nicht eine Sekunde zweifelte. Aber da schlief ich meistens schon.
    Dann schnappte sich mein Vater seine Reisetasche. Das versetzte mir einen Stich. Er erklärte, daß er jetzt losmüsse, und starrte dabei meine Mutter düster an. Ich sprang mit einem Satz auf. Aber dann wurde mein Schwung plötzlich abgeblockt. Als ginge eine Glasscheibe quer durchs Wohnzim mer. Niemand rührte sich mehr. Und mein Vater sagte: »Machen wir's kurz. Es ist besser so.«
    Meine Mutter saß auf dem Tisch. Sie schlen kerte die Beine und starrte unverwandt aufs Linoleum. Sie war offensichtlich nicht darauf aus, ihn zurückzuhalten. Sie klammerte sich an den Tisch, für den Fall, daß dieser davonfliegen sollte. Was mich anging, so steckte ich die Hände in die Ta schen, um die Sache irgendwie durchzustehen. Es war gar nicht so einfach, die richtige Haltung zu finden.
    Als er die Tür hinter sich zuschlug, waren wir noch eine Weile wie benommen. Stumm und regungslos wie Ölgötzen. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Ich hatte den Eindruck, als wäre ein Zug in hohem Tempo an mir vorbeigerast, ein un sichtbarer Zug, der mir aber das Haar zerzaust und so schrill gepfiffen hatte, daß meine Ohren davon noch glühten und anscheinend eine interessante Farbe angenommen hatten. Wenn mein Vater wegging, hinterließ er eine gähnende Leere. Wie ein Fernseher, der implodiert.
    Meine Mutter und ich befanden uns also noch auf den Millimeter genau an derselben Stelle, als mein Vater wieder hereinkam. Er war weiß wie ein Laken.
    »Ich kann nicht fahren«, knurrte er. »Ich kann einfach nicht fahren, verdammte Scheiße.«
    Er stellte seine Tasche auf den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er beehrte uns mit ei ner Grimasse. »Da bleibt nur eins. Du mußt mich zum Flughafen fahren. Ich sehe keine andere Lö sung.«
    Sie blickten einander an.
    Dann ließ sich meine Mutter vom Tisch gleiten und sagte: »Selbstverständlich.« In undefinier- barem Ton. »Aber selbstverständlich.« Und dann: »Vergiß deine Tasche nicht«, während sie als erste nach drau ßen ging. Ich hatte mich tat- sächlich schon gefragt, ob er seine Tasche auch mit ins Bett nahm.
    Meine Mutter setzte sich also ans Steuer. Es war für sie ein ungewohnt großer Wagen, über uns sah man den Sternenhimmel. Sie wirkte ganz klein auf ih re m Sitz, und ich spürte, wie verwirrt sie ange sichts all der Knöpfe und der Servo- lenkung war, die ihr den Eindruck vermittelten, über einen Öl film zu schlittern.
    Sie fand, daß die Scheinwerfer für so ein großes Auto ziemlich schwach waren. Mein Vater saß ne ben ihr und verzog noch immer das Gesicht, si cherlich wegen seines Beins. Ein anderes Mal hatte er sich das Handgelenk gebrochen, als er aus einem Fenster gesprungen und auf einem Kieshaufen ge landet war, aber damals wirkte er recht zufrieden und dankte seinem guten Stern, während meine Mutter grummelte, daß es noch mal böse enden werde.
    Ich hatte die Rückbank für mich allein, aber ich saß auf dem Wulst in der Mitte und zermarterte mir das Hirn, wie ich die Atmosphäre entspannen oder meine Anwesenheit in Erinnerung rufen könnte. Doch die Landschaft, die im Dunkeln liegenden Gebäude und der spärliche Verkehr auf der Ringstraße gaben nichts her.
    Nach einer Weile sagte mein Vater: »Es ist erholsam, mit euch zu verreisen. Das werde ich nie ver gessen.«
    Wir stellten den Wagen in der Tiefgarage ab. Mein Vater schleppte sich mit seiner Tasche unterm Arm zum Aufzug. Er wollte, daß wir bei ihm blieben, um den Eindruck zu erwecken, wir wären eine Familie, drei Knallköpfe, die für eine Woche nach Tunesien fliegen, erklärte er und sagte, er wolle uns was zu trinken spendieren.
    Meine Mutter entgegnete: »Ich hab keinen Durst«, aber wir setzten uns trotzdem hinten in der Cafeteria an einen Tisch, von dem aus man die Start bahn sehen konnte. Mein Vater drehte der Fen sterwand den Rücken zu und rückte seinen Stuhl in den Schatten eines Plastikstrauchs mit unechten Blumen.
    »Ich glaub's nicht«, zischte meine Mutter.Er lachte laut: »Komm, hör doch auf.«
    Die
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