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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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du noch nicht mitgekriegt, daß ich arbeite?« zischte sie wie eine Schlange. »Hast du noch nicht mitgekriegt, daß ich selbst für unseren Unterhalt aufkomme und auf deine Hilfe verzichten kann?«
    Mein Vater erwiderte, das sei ihm scheißegal. Sie könne ja Konfetti aus den Scheinen machen, wenn es ihr Spaß machte, aber sie täte besser daran, vorher etwas nachzudenken. Sie sagte zu ihm: »Oder ich heb sie auf für dein Begräbnis.»
    Mein Vater lachte ihr ins Gesicht: »Einen Job hat man nie fürs ganze Leben. Vergiß das nicht. Weißt du, einen Job verliert man sehr leicht. Und wenn du arbeitslos bist, dann bist du heilfroh, daß ich noch da bin. Wenn dich erst mal irgend so ein Arsch vor die Tür gesetzt hat, dann bist du heilfroh, daß es mich noch gibt.«
    Meine Mutter und ich sahen uns an, denn wir mußten an das gleiche denken. Wir dachten an die Nachbarin, die seit zwei Monaten einen Job suchte, und wir kannten noch eine ganze Menge anderer Leute in unserem Viertel, denen es ebenso ging, Frauen, die das Gefühl hatten, lebendig begraben zu sein und die den ganzen Tag nichts anderes ta ten, als das Haus zu putzen oder Zeitschriften zu lesen, und es gab auch Männer, die daran zugrunde gingen. Ich sah sie, wenn sie ihre Kinder von der Schule abholten, und sah, daß das nicht gerade wit zig war.
    »Trotzdem wundert es dich, daß ich ohne dich zurechtkomme, hm? Gib's zu, das wundert dich. Es nervt dich irgendwie, daß ich ohne dich zurechtkomme. Ich kenn dich doch!«
    Meine Mutter hatte einen Typen kennengelernt, der ihr einen Job als Kassiererin bei Toys R Us in einem Vorort in der Nähe besorgt hatte. Mein Vater sagte nickend: »Wir wissen alle, daß du gut allein zurechtkommst. Das trauen wir dir durchaus zu. Auch wir kennen dich gut genug. Hab keine Bange.«
    Eines Tages hatte mir die Nachbarin die Hände auf die Schultern gelegt und mir fest in die Augen geblickt, während sich mein Vater und meine Mutter gegenüber stritten, nachdem sie mich aus dem Haus geschickt hatten. Sie hatte mir erklärt, daß eine Frau nicht lange ohne einen Mann leben könne, wenn sie normal veranlagt sei, und zwar aus einem Grund, den ich später verstehen würde. Während dessen sahen wir die beiden wie die Bekloppten aus dem Haus rasen und dann wieder hinein.
    Mein Vater hätte mich an jenem Abend fast unter den Arm geklemmt und mitgenommen, er wollte gerade die Treppe hinaufstürmen, um meine Koffer zu packen, doch meine Mutter stellte sich mit aus gebreiteten Armen zwischen uns und erklärte, wenn er das tue, müsse er sie vorher umbringen, sie kämpfe bis zum letzten Blutstropfen, und sie sah nicht so aus, als würde sie scherzen. Am folgen den Tag hatte sie derart rote Augen, daß ich mit ihr zum Augenarzt gehen mußte. Den ganzen Tag lang klammerte sie sich an meinen Arm, und manchmal zitterte sie sogar, es war kaum zu glauben. Ich zog es vor wegzusehen.
    Meine Mutter senkte die Augen. Mein Vater setzte noch hinzu: »Verdammt noch mal. Ich mache mir keine Sorgen um dich. Das habe ich mir längst abgewöhnt.«
    Sie, die sich nie etwas gefallen ließ, sie, die soviel gegen ihn in der Hand hatte, wenn es stimmte, was sie sagte, senkte plötzlich die Augen. Sie senkte die Augen und nahm die Strafe hin, ohne einen Ton zu erwidern. Man sah, daß sie die Nase voll hatte. Aber auch, daß der Schlag gesessen hatte, als hät ten wir sie mit einem Mann im Bett überrascht, ich meine mittendrin, splitternackt und alles, was uns richtig anwiderte, meinen Vater und mich.
    Es gab Männer in ihrem Leben, aber ich habe sie nie gesehen. Und sie kam immer nach Hause zurück, selbst wenn es spät war, und nie in Beglei tung. Manchmal blieb die Nachbarin bei mir, wir sahen uns Filme an und aßen Schokolade oder was wir gerade fanden, und wenn meine Mutter zurückkam, fragte die Nachbarin: »Na, wieviel war's denn auf der Richter-Skala?« Dann dachte meine Mutter eine Weile nach und nannte eine Zahl, wäh rend sie den Mantel auszog und ihn über einen Stuhl warf. Sie hatte ganz zerzaustes Haar.
    Das konnte mir doch scheißegal sein.
    Anschließend schrubbte sie sich unter der Du sche von Kopf bis Fuß ab. Sie steckte sich das Haar hoch. Rieb sich wie verrückt ab. Dann sagte sie zu mir: »Erzähl mir, was du heute gemacht hast«, aber ich sagte keinen Ton. lch fand, das war wirklich nicht nötig. Vor allem, da ich den ganzen Tag nichts Besonderes gemacht hatte. Ich blieb auf dem Rand der Badewanne sitzen, sah ihr zu und wartete dar auf, daß
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