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Reibereien

Reibereien

Titel: Reibereien
Autoren: Philippe Djian
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tot war. Trotzdem blieb ich stocksteif stehen, fast auf den Zehenspitzen, während sie mich an sich drückte. Ich dachte, daß ich hätte schlechter fahren können mit einer zahnlosen Alten oder einer häßlichen Zicke.
    Als ich wieder nach Hause kam, stand mein Va ter unter der Dusche. Meine Mutter holte ein Ge richt aus der Mikrowelle, und ich setzte mich an den Tisch, während sie sich jetzt die Zeitung vor nahm, die Seiten in Windeseile umblätterte und dabei die Stirn runzelte wie eine Verrückte. Sie war derart angespannt, daß sich ihr Gesicht zu einer Grimasse verzog. Sie knirschte nicht mit den Zähnen, aber man glaubte es förmlich zu hören.
    Nachdem sie die Zeitung überflogen hatte, ließ sie sich mir gegenüber auf einen Stuhl sinken und starrte mich an, wobei sie die Hände zwischen die Beine preßte. Sie schien sich zu fragen, was ich von dieser ganzen Geschichte hielt, aber mir war es lie ber, dazu nichts sagen zu müssen, und daher senkte ich die Augen. Ich zog den Kopf ein und wartete, bis es vorüber war.
    Mein Vater kam wieder, die Reisetasche über die Schulter gehängt. Er stellte sie neben sich auf den Boden, setzte sich zu uns und streckte sein verletz tes Bein seitlich aus. Meine Mutter schoß hoch wie von der Tarantel gestochen. So heftig, daß mein Va ter mit betrübter Miene zu ihr sagte: »Was soll denn das? Kannst du mir sagen, was das soll?« Ohne weitere Erklärung ging sie direkt auf ihre Zigaretten schachtel zu. Manchmal stand sie mitten in der Nacht auf, um eine zu rauchen. Der Qualm drang bis in mein Zimmer.
    Er erklärte, daß er Hunger kriege, wenn er mich essen sehe. Und als er merkte, daß meine Mutter nichts gehört hatte und mit ihrer Zigarette in ihrer Ecke sitzenblieb, beschloß er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ohne um Erlaubnis zu fra gen. Währenddessen sagte niemand einen Ton.
    Als ich später die Mülltonnen nach draußen stell te, kam er zu mir auf den Bürgersteig, und wir sa hen uns den Himmel an. Ich war nicht imstande, ein Gesprächsthema zu finden.
    »Eine komische Situation « , sagte er. Aber ich wußte nicht, was ich darauf hätte erwidern so ll en. Ich hatte das Gefühl, als sei mein Schädel völ lig hohl. Ich brachte es nicht einmal fertig, mich für sein Auto zu interessieren. Ich hätte Tage gebraucht, um aus meinem Schneckenhaus herauszu kommen, so wie ich mich kannte. Da kann man nichts machen.
    Anschließend gingen wir zur Nachbarin.
    »Hast du vielleicht einen Verband für mein Knie? Hast du zufällig so was?« Hinter uns sprang der Hund an seiner Leine auf und ab, zufrieden und zugleich wütend. Dieser Hund erkannte niemanden wieder, seit sein Herr gestorben war. Sie dachte im übrigen daran, ihn wegzugeben.
    Das Knie meines Vaters war stark geschwollen. Es wurde immer sch li mmer. Es sah aus, als würde die Haut bald platzen, aber das schien ihn nicht zu beunruhigen. Die Nachbarin fand eine Salbe, mit der er sich erst mal behelfen konnte, und während sich mein Vater mindestens die halbe Tube von dem Zeug aufs Knie schmierte, erklärte er, daß sie schön kühl sei und ihm das guttue.
    Die Nachbarin hatte schon immer auf seiten mei ner Mutter gestanden. Sie war der Ansicht, Frau en sollten zusammenhalten, und überhaupt sei es manchmal besser, keinen Mann zu haben. Während sich mein Vater das Knie verband, saß sie mit aufge stützten Ellbogen am Tisch und starrte ihn an.
    »Ich schwöre dir, daß sie sehr umgänglich ist«, sagte sie schließlich zu ihm.
    Mein Vater zog die Hose hoch. »Kümmer dich nicht um unsere Angelegenheiten « , erwiderte er.
    Sie begleitete uns zur Tür. »Und dein Sohn? Denkst du auch an deinen Sohn? Kommt es vor, daß du an ihn denkst?« Mein Vater tat, als habe er nichts gehört. Und was mich betraf, wäre es mir lieber gewesen, wenn sie auf diese Art von Bemerkungen verzichtet hätte. Ich fühlte mich noch be schissener.
    Ehe wir ins Haus gingen, sagte er zu mir, ein Mann müsse sich ab und zu mit einer undankbaren Rolle abfinden. »Aber laß dir nicht alles aufbinden«, fügt e er hinzu. »Nimm nicht alles für bare Münze, was dir die Weiber einreden wollen.«
    Meine Mutter saß vor dem Fernseher. Sie for derte mich sofort mit einer Handbewegung auf, mich neben sie zu setzen. Als sei das der einzig mögliche Ort, die einzige Zuflucht, eine Insel inmitten eines durch die simple Anwesenheit meines Vaters entfesselten Ozeans. Sie zog mich mit einer herausfordernden Miene an sich, die er lieber ignorierte.
    Er
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