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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe
Autoren: Christa Wolf
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und übereinanderliegen, und dann entsteht ein Muster, das nicht auf einen Faden gefädelt ist; in Kindheitsmuster versuche ich das auch. Mit einer solchen Struktur kann man vieles Ungesagte und Nicht-Sagbare ausdrücken.
    SPIEGEL :  Ist der Wechsel von Ich und Du auch so zu erklären, daß das eigene Ich aus der Vergangenheit einem manchmal fremd wird?
    Wolf:  Ja, das ist merkwürdig. Man ist immer Ich gewesen, aber man kann sich später manchmal nicht mehr in dieses alte Ich hineinversetzen.
    SPIEGEL :  Es leuchtet nicht ein, warum Sie das Buch, das Sie doch sehr nahe an Ihrem authentischen Erleben entlang erzählen, in Teilen auch fiktionalisiert haben. Wollten Sie durch die Fiktionalisierung den eigentlichen Konflikt, den Sie schildern – die Auseinandersetzung mit der eigenen Person und die öffentlichen Reaktionen darauf –, von sich wegrücken?
    Wolf:  Nein, Sie haben ja selbst gesehen, daß ich gerade bei den Teilen, die diese Konflikte schildern, nahe an den tatsächlichen Ereignissen entlang erzähle. Anderes habe ich erfunden, viel mehr, als Sie wohl glauben würden. Das gehört zur Vielschichtigkeit, die ich anstrebe. Ebenso wie es sich natürlich versteht, daß die Ich-Erzählerin nicht identisch mit der Autorin ist.
    SPIEGEL :  Ihre Schilderung der damaligen Situation hat auch eine gewisse Ironie. So erzählen Sie, wie Sie einer Amerikanerin zu erklären versuchen, was man Ihnen in Deutschland vorwirft und was ein »Informeller Mitarbeiter« der Stasi ist. Ob das so etwas wie ein Agent oder Spion sei, fragt die Frau zurück.
    Wolf:  Ja, es war damals schon eine manchmal absurde Situation für mich. Ich war weit weg, bekam aber dort in Los Angeles natürlich doch jeden Artikel, der über mich geschrieben wurde, zu sehen. Und da war es manchmal wohltuend, mit den anderen Stipendiaten des Getty Centers, die aus verschiedenen Ländern kamen, zu sprechen, weil die den Abstand zu den Verhältnissen in Deutschland hatten.
    SPIEGEL :  Aber es war wohl doch der Tiefpunkt Ihrer Autorenlaufbahn?
    Wolf:  Wieso? Nein, schlimmer war die Situation Mitte der sechziger Jahre. Mir wurde klar, daß sich die DDR nicht in die Richtung entwickeln würde, wie viele von uns gedacht und gehofft hatten. Daß die Widersprüche unlösbar wurden – darüber konnte es nach 1968 keinen Zweifel mehr geben.
    SPIEGEL :  Dennoch schreiben Sie: »Wir haben dieses Land geliebt.« Sie zitieren es als innere Stimme der Erzählerin. Das dürfte in Zukunft oft zitiert werden. Ein trotziges Bekenntnis?
    Wolf:  Ach nein. Dazu vielleicht ein Hermlin-Zitat: »Nie reimt sich Liebe auf Beflissenheit.« Es ist natürlich ein frommer Wunsch, aber meine Hoffnung ist, daß so ein Satz dazu beitragen könnte, etwas differenzierter mit diesem Land und den Menschen, die dort gelebt haben, umzugehen.
    SPIEGEL :  Was haben Sie an dem Land geliebt?
    Wolf:  Die Utopie zu Anfang. Und viele Menschen, die sich dafür einsetzten und bitter enttäuscht wurden – darunter auch jene aus dem Exil zurückkehrenden Emigranten, von denen eben die Rede war.
    SPIEGEL :  Sie beschreiben eindringlich die Situation, wie Sie vor Ihrem Aktenberg sitzen und lesen, was die Stasi in all den Jahren über Sie zusammengetragen hat. Am liebsten hätten Sie die Ordner aus dem Fenster geschmissen und verbrannt. War es damals falsch, die Stasi-Akten zu öffnen?
    Wolf:  Ich denke nicht. Vielleicht hätte man sie schon längst dem Bundesarchiv übergeben sollen. Sie wissen, daß ich selbst meine Täterakte offiziell nicht einsehen durfte. Der Journalist und langjährige Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR , Günter Gaus, hat sie mir damals mit nach Los Angeles gebracht. Übrigens: Die Akten, die in der Bundesrepublik angelegt worden sind, bleiben verschlossen. Worauf Günter Grass gerade erst hinwies. Dadurch konnten sich die Westdeutschen als der überlegene Bevölkerungsteil fühlen.
    SPIEGEL :  Wollen Sie damit sagen, daß es eine vergleichbare sinnlose Anhäufung von Daten und Telefonmitschnitten durch den Verfassungsschutz gibt? Eine nahezu flächendeckende Observierung durch Inoffizielle Mitarbeiter wie einst in der DDR ?
    Wolf:  Nein, das habe ich nie behauptet. Aber dadurch, daß das Stasi-Thema in der Betrachtung der DDR zu einem Hauptthema geworden ist, stimmen nach meiner Ansicht die Proportionen nicht.
    SPIEGEL :  In Ihrem Buch klingt an, daß viele Menschen wegen der globalen Krise heute offener für
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