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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe
Autoren: Christa Wolf
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 Und dabei leiden die Menschen?
    Wolf:  Ich finde schon. Das Wichtigste, was Menschen miteinander anstellen sollten, ist, sich gegenseitig zu fördern und zu ermutigen. Und genau dies geschieht nicht – oder zu wenig.
     
    2005

»Wir haben dieses Land geliebt«
    Gespräch mit Susanne Beyer und Volker Hage
    SPIEGEL :  Frau Wolf, in der nächsten Woche erscheint Ihr neues Buch: Sie erzählen darin vor allem von den Turbulenzen, die Sie nach der Wiedervereinigung durchstehen mußten. Dies kollidiert mit einer ganz neuen Wiedervereinigungsdebatte, ausgelöst durch die Kandidatur Joachim Gaucks, in der es wieder einmal um das Verhältnis zur DDR geht. Westdeutsche sind begeistert von Gauck, manche Ostdeutsche reagieren eher verhalten, vor allem wohl wegen seiner klaren DDR -kritischen Haltung. Was halten Sie von dem Kandidaten?
    Wolf:  Ich erlaube mir in dieser Frage kein Urteil, weil ich es nicht ausreichend begründen könnte.
    SPIEGEL :  Das verstehen wir nicht. Das Verhältnis zur DDR ist doch ein Hauptthema Ihres neuen Buchs. Oder nicht?
    Wolf:  Ich glaube, in meinem Text werden sehr unterschiedliche Themen angeschnitten. Die Haupterzählebene ist doch mein Aufenthalt 1992/93 in den USA . Aber ich greife zurück bis in meine Jugend, als wir, nach der Flucht aus meiner Heimatstadt, quasi vor dem Nichts standen. Auf der Universität traf ich auf viele Generationsgenossen, die, nach der niederschmetternden Erfahrung des Nationalsozialismus, eine von Grund auf andere Gesellschaft erhofften. Für uns wurde es, über die Jahre hin, ein arger Weg der Erkenntnis.
    SPIEGEL :  Zu der Erkenntnis, daß aus der DDR nichts Rechtes werden würde? Wir haben das Gefühl, Sie weichen aus. In Ihrem Buch wird nicht ganz klar, wie Sie heute zu diesem Staat stehen. Im Westen galten Sie immer als verhalten oppositionell, sind aber im Osten geblieben, und man hat bis heute von Ihnen nicht gehört, daß Sie die DDR für einen Unrechtsstaat, für eine Diktatur halten.
    Wolf:  Günter Gaus hat einmal geschrieben, diese Begriffe seien heute der Gesslerhut, den man grüßen muß, um nicht beargwöhnt zu werden. Meinetwegen. Aber diese Begriffe verdecken alle Differenzierungen, an denen mir so liegt. Das habe ich in Gesprächen mit Menschen, nicht nur aus der DDR , immer wieder gespürt. Nostalgie lasse ich nicht aufkommen. Aber wenn ich – durchaus kritisch – konkrete Vorgänge beschreibe, tauchen die Erinnerungen vielleicht wieder auf. Und mit ihnen Einsichten, die zu Entscheidungen führen können.
    SPIEGEL :  Kann es sein, daß Sie sich nicht über Gauck äußern wollen, weil er da ganz eindeutig ist? In seiner Autobiographie bezeichnet er die DDR unumwunden als Diktatur. Damit gewinnt er zugleich die Freiheit, auch Freundliches über das Alltagsleben in diesem Staat zu sagen, von positiven Erinnerungen und von Verlusten zu erzählen.
    Wolf:  Ich habe die Biographie von Joachim Gauck nicht gelesen. Ich denke aber, daß die kritische Auseinandersetzung mit der DDR bei mir ständig geführt wird.
    SPIEGEL :  In Ihren Büchern entfaltet sich die Erinnerung aus sich selbst heraus, in vielen Schattierungen. Aber diese eher sanfte, deskriptive Vorgehensweise ist auch gefährlich: Alles läßt sich immer weiter differenzieren. Potentiell ist das ein Vorgang, der nicht abzuschließen ist. Sollte man nicht auch einmal zu einem Urteil, einer Einschätzung kommen?
    Wolf:  Natürlich läßt sich vieles pauschal beurteilen, man kommt dann aber ziemlich schnell nur zum Verurteilen, und ich glaube, daß sich da Erkenntnis verschließt.
    SPIEGEL :  Aber wo bleibt die Wut? Zu DDR -Zeiten sind Sie mit vielen Kommunisten befreundet gewesen, die unter Hitler verfolgt wurden, ins Exil gingen, dann in Moskau von den eigenen Genossen drangsaliert wurden und später sogar in DDR -Gefängnissen saßen. Wie konnten Sie, die anfänglich alle Hoffnungen in die DDR gesteckt haben, das aushalten?
    Wolf:  Ja, und gleich fragen Sie mich wieder, was mich seit zwanzig Jahren alle immer fragen, warum ich überhaupt in
der DDR geblieben bin. Das wird doch alles in meinem Buch beschrieben: die Konflikte, die ich erlebte und aus denen heraus ich schrieb. Und natürlich haben wir uns da immer wieder gefragt: Wollen wir nicht gehen?
    SPIEGEL :  Was hat Sie gehindert?
    Wolf:  Auch das beschreibe ich ja: wie wir damals dauernd in den Atlas geguckt haben, nach möglichen Orten. Aber wir wußten nicht, wohin – Kein Ort. Nirgends , das ist der
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