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- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond

- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond

Titel: - Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
Autoren: Sarah Blakley-Cartwright , David Leslie Johnson
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Jammers. Valerie begann zu rennen. Kaum hatte die Ziege sie bemerkt, bäumte sie sich ungestüm auf und streckte ihr den schmalen Hals so weit entgegen, wie es der Strick erlaubte.
    »Hier bin ich«, wollte Valerie rufen, doch die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, als sie plötzlich ein Geräusch vernahm.
    Etwas preschte mit schnellen Sätzen aus großer Entfernung heran und kam in der Dunkelheit immer näher und näher. Valerie wollte weiterlaufen, doch sosehr sie es auch versuchte, ihre Füße waren wie gelähmt.
    Für einen Augenblick wurde es wieder ganz still.
    Und dann erschien er.
    Zuerst nur ein huschender schwarzer Schatten. Dann stand er da – der Wolf. Er kehrte ihr den Rücken zu, einen mächtigen, fürchterlichen Rücken, und sein Schwanz schwang hin und her und fegte ein Muster in den Staub. Er war so groß, dass sie ihn gar nicht mit einem Blick erfassen konnte.
    Valerie entfuhr ein Stöhnen, ihr Atem stockte. Die Ohren des Wolfs zuckten und dann wandte er den Kopf und ihre Blicke trafen sich.
    Seine Augen waren wild und schön.
    Seine Augen sahen sie an.
    Nicht auf gewöhnliche Art, sondern auf eine Weise, wie
sie noch niemand angesehen hatte. Seine Augen durchbohrten sie, erkannten etwas. Dann packte sie das Entsetzen. Sie warf sich zu Boden, denn sie konnte nicht länger hinsehen, kauerte sich zusammen und vergrub sich in der schützenden Dunkelheit.
    Ein großer Schatten schob sich drohend über sie. Er war so groß und sie so klein, dass sie das Gefühl hatte, von ihm niedergedrückt zu werden und in der Erde zu versinken. Ein Schauder lief durch ihren Körper. Sie stellte sich vor, wie der Wolf seine krummen Reißzähne in ihr Fleisch bohrte.
    Ein Brüllen ertönte.
    Valerie wartete auf den Sprung, wartete darauf, dass seine Kiefer zuschnappten, seine Klauen zupackten, aber sie spürte nichts. Sie vernahm ein Schlurfen, das Gebimmel von Floras Glöckchen, und erst da kam ihr zu Bewusstsein, dass der Schatten von ihr gewichen war. Aus ihrer kauernden Haltung hörte sie ein Knirschen und Krachen. Aber da war noch etwas anderes, ein Geräusch, das sie nicht einordnen konnte. Viel später erst sollte sie erfahren, dass es das Toben einer finsteren, entfesselten Wut war.
    Dann folgte eine angsterfüllte Stille, eine fiebrige Ruhe. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und hob langsam den Kopf, um nach Flora zu sehen.
    Alles war ruhig.
    Nichts war mehr da bis auf den Strick. Er war noch an dem Pflock festgebunden und lag schlaff auf der staubigen Erde.

Kapitel 2
    V alerie saß mit ausgestreckten Beinen auf dem taufeuchten Boden am Straßenrand und wartete. Sie hatte keine Angst, dass ihre Füße überfahren werden könnten, wegen so etwas machte sie sich niemals Sorgen. Sie war jetzt älter – zehn Jahre waren vergangen seit jener Schreckensnacht, in der sie dem Bösen ins Auge geblickt hatte. Doch als sie heute am Opferalter vorbeigegangen war, hatte sie von dem Haufen Knochen, der vom Opfer der letzten Nacht geblieben war, nicht einmal Notiz genommen. Sie hatte das, wie jedes Kind aus dem Dorf, ihr Leben lang jeden Monat einmal gesehen und aufgehört, darüber nachzudenken, was es zu bedeuten hatte.
    Die meisten Kinder waren irgendwann in ihrem Leben ganz besessen von den Vollmondnächten und statteten dem Altar am darauffolgenden Morgen einen Besuch ab, um sich das getrocknete Blut anzusehen und Fragen zu stellen wie: Kann der Wolf sprechen? Oder ist er wie die anderen Wölfe im Wald? Warum ist der Wolf so böse? Die Antworten, die sie bekamen, waren häufig noch enttäuschender, als wenn sie gar keine bekommen hätten. Die Eltern versuchten, ihre Kinder zu schützen, brachten sie zum Schweigen und verboten
ihnen, darüber zu sprechen. Manchmal jedoch stupsten sie ihnen scherzhaft an die Nase und ließen Bemerkungen entschlüpfen wie: » Wir bringen hier ein Opfer dar, damit der Wolf nicht kommt und süße kleine Mädchen wie dich verschlingt. «
    Seit ihrer Begegnung mit dem Wolf hatte Valerie nicht mehr nach ihm gefragt. Doch es kam oft vor, dass sie nachts von der Erinnerung heimgesucht wurde. Dann wachte sie auf und betrachtete Lucie, die, mit einem gesunden Schlaf gesegnet, viel zu still in ihrem gemeinsamen Bett lag. Sie sah ihre Schwester lange an und fühlte sich schrecklich einsam. Und wenn ihre Angst zu groß wurde, tastete sie zu Lucie hinüber und fühlte ihren Herzschlag.
    »Lass das!«, murmelte Lucie dann immer schlaftrunken und schlug ihr auf die Hand. Valerie wusste,
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