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- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond

- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond

Titel: - Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
Autoren: Sarah Blakley-Cartwright , David Leslie Johnson
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wurden. »Es überrascht mich, dass du zu dieser späten Stunde noch wach bist.«
    Valerie hörte Vorwürfe wie diesen nicht zum ersten Mal. Sie wurden nie offen ausgesprochen, sondern stets hinter einer scherzhaften oder geistreichen Bemerkung versteckt. Und dennoch gab ihr der verächtliche Ton, in dem sie vorgebracht wurden, jedes Mal einen Stich.
    Sie blickte zu ihrer Schwester. Sie hatte ihre Mutter nicht gehört, denn sie lachte gerade über einen Witz, den einer der Männer gemacht hatte. Lucie behauptete immer, dass ihre Eltern sich liebten und dass Liebe sich nicht in großen Gesten zeigte, sondern im Alltäglichen, einfach darin, dass man füreinander da war, zur Arbeit ging und abends wieder nach Hause kam. Valerie hatte versucht, ihr zu glauben, aber sie konnte nicht. Irgendwas sagte ihr, dass Liebe mehr sein musste – und nicht so vernünftig.
    Jetzt hielt sie sich an den hinteren Holmen des Wagens fest, lehnte sich hinaus und betrachtete den Boden, der unter ihr weggezogen wurde. Ihr wurde schwindlig und sie drehte sich wieder nach vorn.
    »Mein Baby.« Suzette zog sie auf ihren Schoß und Valerie ließ es geschehen. Ihre blasse, hübsche Mutter roch nach Mandeln und feinem Mehl.

    Als der Wagen die Black Raven Woods hinter sich ließ und am Silberfluss entlangrumpelte, kam die düstere Silhouette des Dorfes in Sicht. Schon aus der Ferne warf der Schrecken seine Schatten voraus: Pfähle, Eisenspitzen und Widerhaken, die steil herausragten. Der Wachturm des Getreidespeichers, das größte Bauwerk im Dorf, reckte sich in die Höhe.
    Das Erste, was man spürte, wenn man über die Kuppe kam, war Angst.
    Daggorhorn war ein Dorf voller Menschen, die Angst hatten, Menschen, die sich selbst in ihren Betten nicht sicher fühlten, schutzlos und verwundbar auf Schritt und Tritt.
    Die Menschen hatten begonnen zu glauben, dass sie diese Qualen verdient hatten – dass sie etwas Unrechtes getan hatten und Böses in sich trugen.
    Tag für Tag konnte Valerie beobachten, wie sich die Dorfbewohner vor Angst duckten, und spüren, dass sie anders war als sie. Mehr als das Außen fürchtete sie eine Dunkelheit, die aus ihrem Inneren kam. Anscheinend war sie die Einzige, die so empfand.
    Ausgenommen Peter, versteht sich.
    Valerie dachte an die Zeit, als er noch da war, als sie beide noch zusammen waren, furchtlos, unbekümmert und voller Lebensfreude. Heute verübelte sie den Dorfbewohnern ihre Angst, sie verübelte ihnen den Verlust ihres Freundes.
    Sobald man das schwere Holztor passiert hatte, sah das Dorf aus wie jedes andere im Königreich. Die Pferdehufe wirbelten Staubwolken auf wie in allen Ortschaften dieser Art und jedes Gesicht war einem vertraut. Hunde streunten durch die Straßen, mit leeren schlaffen Bäuchen, die so über
den Rippen spannten, dass ihr Fell wie gestreift aussah. Leitern lehnten sachte an Veranden. Moos quoll aus Dachritzen und kroch über die Hauswände und niemand unternahm etwas dagegen.
    Heute Abend hatten es alle im Dorf eilig, ihre Tiere in den Stall zu bringen.
    Heute war Wolfsnacht, wie immer bei Vollmond, seit Menschengedenken.
    Schafe wurden zusammengetrieben und hinter dicke Türen gesperrt. Hühner wurden von einem Familienmitglied an das andere weitergereicht und reckten, als sie Leitern hinaufgeschubst wurden, die Hälse, machten sie so lang, dass Valerie befürchtete, sie könnten sie sich selbst aus den Leibern reißen.

    Als sie zu Hause ankamen, tuschelten Valeries Eltern miteinander. Statt die Leiter zu ihrem Pfahlhaus hinaufzuklettern, lenkten Cesaire und Suzette ihre Schritte zu dem Stall darunter, der im düsteren Schatten des Hauses lag. Die Mädchen rannten vor ihnen her, um Flora, ihre Lieblingsziege, zu begrüßen. Bei ihrem Anblick rüttelte Flora mit den Hufen an den wackligen Brettern des Verschlags und ihre klaren Augen glänzten erwartungsvoll.
    »Jetzt ist es so weit«, sagte Cesaire, trat zu Valerie und Lucie und legte ihnen die Hände auf die Schultern.
    »Wofür?«, fragte Lucie.
    » Wir sind an der Reihe.«
    Valerie bemerkte etwas in seiner Haltung, was ihr nicht gefiel, etwas Bedrohliches, und sie wich vor ihm zurück.
Lucie fasste sie an der Hand und beruhigte sie, wie sie es immer tat.
    Cesaire war ein Mann, der davon überzeugt war, dass man zu seinen Kindern ehrlich sein sollte, er zupfte seine Hose zurecht und beugte sich zu seinen beiden kleinen Töchtern hinab, um mit ihnen zu sprechen. Er eröffnete ihnen, dass in diesem Monat Flora geopfert werden
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