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- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond

- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond

Titel: - Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
Autoren: Sarah Blakley-Cartwright , David Leslie Johnson
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dass ihre Schwester nicht gern an ihren Herzschlag dachte. Er erinnerte sie daran, dass sie ein Lebewesen, dass sie nicht unfehlbar war, nur Fleisch und Knochen.
    Jetzt strich Valerie mit den Fingern über den kalten Boden des Fußwegs und ertastete die Ritzen zwischen den alten Sandsteinplatten. Der Stein fühlte sich so an, als könnte er zerbröckeln, als wäre er von innen her verwittert und als könnte sie mit etwas mehr Zeit kleine Stücke herausbrechen. Das Laub der Bäume leuchtete gelb, als hätte es allen Sonnenschein des Frühlings aufgesogen und für den Winter aufgespart.
    An einem Tag wie heute war es leichter, die vergangene Vollmondnacht mit einem Achselzucken abzutun. Das ganze Dorf war in Aufregung, denn alle bereiteten sich auf die Ernte vor: Männer liefen mit rostigen Sensen umher, Frauen lehnten sich aus Fenstern und ließen Brotlaibe in Körbe fallen.

    Bald sah Valerie das schöne runde Gesicht ihrer Schwester auf dem Weg auftauchen. Lucie hatte einen abgebrochenen Türriegel zum Reparieren in die Schmiede gebracht. Als sie jetzt den Pfad heraufkam, liefen vier kleine Mädchen aus dem Dorf hinter ihr her. Die Mädchen vollführten merkwürdig gezierte Bewegungen, und erst als sie näher kamen, erkannte Valerie, dass Lucie ihnen gerade beibrachte, wie man einen Knicks machte.
    Lucie war sanft wie sonst niemand, sanft wie die Natur und das Leben. Ihr Haar war weder rot noch blond, sondern beides. Sie gehörte nicht hierher nach Daggorhorn, sie gehörte in ein Wolkenland, in dem der Himmel gelb, blau und rosa getupft war, wie gemalt. Was sie sagte, war Poesie, und ihre Stimme klang wie Musik. Valerie hatte manchmal das Gefühl, ihre Familie hätte Lucie nur ausgeborgt.
    Wie seltsam es ist, eine Schwester zu haben, dachte Valerie. Jemanden, der man selbst hätte sein können.
    Lucie blieb vor Valerie stehen, und mit ihr das Mädchengefolge. Eine Kleine mit schmutzigen Knien musterte Valerie abschätzig, enttäuscht von ihr, weil sie ihrer älteren Schwester so gar nicht ähnlich war. Für das Dorf war Valerie immer nur die andere, die etwas sonderbare Schwester. Zwei der Mädchen sahen einem Mann zu, der auf der anderen Straßenseite verzweifelt versuchte, einen Ochsen vor seinen Karren zu spannen.
    »He!« Lucie drehte das vierte Mädchen herum, bückte sich, nahm seine kleine Hand und hielt sie ihm über den Kopf. Das Mädchen zögerte, sich zu drehen und den Blick von seinem Idol zu wenden. Die anderen drei sahen ungeduldig zu, als ob sie sich ausgeschlossen fühlten.
    Valerie kratzte sich am Bein und knibbelte Wundschorf ab.
    Lucie hielt ihr die Hand fest. »Das gibt eine Narbe.« Lucies Beine waren makellos, perfekt. Sie rieb sie immer mit einer Paste aus Öl und Weizenmehl ein, wenn sie etwas davon erübrigen konnten.
    Valerie besah sich ihre eigenen Beine, die voller Mückenstiche, blauer Flecken und Schrammen waren, und fragte: »Hast du etwas übers Zelten gehört?«
    Lucie beugte sich zu ihr vor. »Alle anderen haben die Erlaubnis bekommen!«, flüsterte sie. »Jetzt müssen wir einfach mit.«
    »Kurz gesagt, wir müssen Mutter überreden.«
    »Versuch es.«
    »Spinnst du? Mir würde sie es nie erlauben. Du bist doch diejenige, die immer bekommt, was sie will.«
    »Vielleicht.« Lucie hatte volle rosige Lippen, und wenn sie nervös darauf herumkaute, wurden sie noch rosiger. »Vielleicht hast du ja recht«, sagte sie grinsend. »Auf jeden Fall bin ich dir einen Schritt voraus.«
    Mit einem verschmitzten Lächeln hielt sie Valerie ihren Korb hin, doch die hatte schon erraten, was er enthielt, noch bevor sie einen Blick hineinwarf. Vielleicht hatte sie es auch gerochen. Das Lieblingsgebäck ihrer Mutter.
    »Gute Idee!« Valerie stand auf und klopfte sich den Schmutz hinten von ihrem Kittel.
    Lucie, glücklich über ihren Weitblick, legte den Arm um Valerie. Gemeinsam brachten sie die kleinen Mädchen zu ihren Müttern zurück, die in ihren Gärten arbeiteten. Die Frauen in diesem Dorf waren stachelige Naturen, doch selbst die Unfreundlichste hatte für Lucie ein Lächeln übrig.
    Auf dem Nachhauseweg kamen sie an ein paar Schweinen vorbei, die keuchten wie kranke alte Männer, an einem
Zicklein, das versuchte, hinter ein paar eingebildeten Hühnern her zu trotten, und einer Kuh, die zufrieden Heu mampfte.
    Sie gingen an der langen Reihe von Häusern entlang, die auf ihren Pfählen dastanden, als wären es Stelzen, mit denen sie jeden Augenblick weglaufen könnten. Am zweitletzten Haus
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